Von der Notwendigkeit doppelten Naturschutzes und der Kritik an missverständlichen Katastrophenszenarien

Konsequenzen aus dem Gastkommentar in der nzz.ch vom 1. Januar 2022: Apocalypse now? Die Menschheit ist gross, doch das Klima grösser.

These: Der Naturschutz hat eine doppelte Aufgabe: Die Natur, unsere Umwelt, vor ihrer Ausbeutung und Zerstörung zu schützen; aber auch: die Menschheit vor den Naturgewalten zu schützen.

Diese doppelte Aufgabe verlangt eine differenzierte Balance im menschlichen Verhalten; das Bewusstsein der Menschen im Anthropozän ist notwendigerweise das eines, „sterblichen Schöpfertums“; denn „um die Welt gegen die Sterblichkeit ihrer Schöpfer und Bewohner im Sein zu halten, muss sie dauernd neu eingerenkt werden“. (Hannah Arendt, 1958)

Die heutigen Katastrophenszenarien lassen eine klare Unterscheidung zwischen „Naturgeschichte“ und „Menschengeschichte“ vermissen, bzw. lamentieren mit unsachgemäßen Katastrophenszenarien. Diese Verwirrung beruht auch auf der Verwechslung von kosmischer Naturentwicklung, Evolution auf dem Planeten Erde und den Möglichkeiten bzw. Verfehlungen menschlicher Geschichte. Ich spreche in diesem Zusammenhang von den widersprüchlichen Potenzen der Problemlösung des menschlichen Bewusstseins.

Wir Menschen am Ende des Anthropozäns beherrschen nicht die sog. „Naturgeschichte“, auch wenn uns unser Bewusstsein ermöglicht, sowohl die kosmischen Abläufe der Eiszeiten auf der Erde sowie die Evolution des Lebens auf der Erde zunehmend zu erkennen. Als Naturwesen sind die Menschen in diese Naturprozesse einbezogen, ohne sie entscheidend beeinflussen zu können. Auch wird mit Recht gesagt, dass die „heutige Krisenrhetorik verkennt, dass das Menschsein seit je krisenhaft ist“.

Wir Menschen als Naturwesen sind daher in doppelter Weise sterblich: sowohl unsere individuelle Lebenszeit ist begrenzt; wie alles Leben auf der Erde, wenn auch in unterschiedlichen Zeitdimensionen (man vergl. die mögliche Lebensdauer eines Bakteriums mit der eines Säugetieres). Aber auch die Lebensbedingungen des homo sapiens – als Gattung – sind zeitlich begrenzt, da an die „Naturzustände“ des Planeten Erde in unserem Sonnensystem unwiderruflich gebunden. Eine Flucht des Menschen vom Planeten Erde als Überlebensstrategie der Gattung Mensch ist zwar phantasierbar (und ansatzweise individuell konstruierbar), aber unter den bestehenden Problemlösungsmöglichkeiten nicht realistisch.

Realistisch – im Sinne des Aufgeklärten Realismus – ist sowohl die menschlich verursachte Selbstzerstörung der bewohnbaren Erde (durch bewusste Freisetzung von welterschütternden Kräften wie der Atomenergie), aber auch die „schleichende“ bewusst zu machende Verschlechterung der Lebensbedingungen (wie z.B. durch Luftverschmutzung, Erderwärmung, unkontrolliertes Bevölkerungswachstum – ohne ausreichende Verbesserung der Lebensbedingungen; aber auch durch – durch nichts zu rechtfertigende – Kriege und Hungersituationen; also durch Ausbeutung und Verelendung.

Diese (sicher unzureichende) Zustandsbeschreibung der menschlichen Geschichte – ihrem Mangel und ihren Möglichkeiten an menschengerechten Problemlösungen – verlangt darüber hinaus für eine humane Überlebensstrategie die Organisation und Sicherung einer menschenwürdigen Gesellschaftsstruktur – und einen doppelten Naturschutz: einen nachhaltigen Schutz vor erkennbaren Naturgewalten (wie z.B. den Dammbau in den Niederlanden) und den Schutz der Natur vor menschlicher Zerstörung (z.B. der Ökosysteme) durch Waldvernichtung oder durch kurzfristige „Verbesserung“ der menschlichen Lebensgrundlagen, deren Nachteile langfristig überwiegen.

Menschen sind als bewusste Lebewesen in der Lage, die Probleme im Sinne des doppelten Naturschutzes und auf der Basis, die Menschenwürde universal durchzusetzen, zu lösen, auch wenn alle Problemlösung vorläufig bleibt und immer neuer Anstrengung bedarf. In dieser Perspektive sind die Menschen für ihre Zukunft am Ende des Anthropozäns verantwortlich. Daher spreche ich (in Form eines kategorischen Imperativs) davon, dass der homo sapiens nur überleben kann, wenn er ein homo praestans wird, ein Mensch, der für andere und sich einsteht.

Zum Neuen Jahr und zu Mariä Lichtmess 2020: Erleuchtung bedarf der Aufklärung, sonst zerstreut sich das Licht.

Kritische Überlegungen zur LWL-Aktion „finde dein Licht“ 2020 in der Klosterlandschaft Westfalen-Lippe

Das Licht strahlt nicht nur in der Finsternis, sondern – gezielt eingesetzt – erhellt es die Dunkelheit voller Chaos, Vernichtung und Verbrechen. Die Aufklärung von Versagen, Verbrechen, Vertreibung, Krieg und mutwilliger Vernichtung ist notwendige Voraussetzung der Verantwortung, die wir Menschen für uns, für unsere Mitmenschen, für die Natur, für die Welt haben.

Diese Verantwortung der Menschen als „sterbliche Schöpfer“ (so Hannah Arendt 1958) ist nicht abschiebbar, nicht delegierbar auf eine „höhere Macht“ oder „die Natur“, sondern die Menschen sind eigenverantwortlich für das, was sie tun und ob und wie sie Probleme lösen.

Um die Welt gegen die Sterblichkeit ihrer Schöpfer und Bewohner im Sein zu halten, muss sie dauernd neu eingerenkt werden“, so formuliert Hannah Arendt bereits 1958 in ihrem Aufsatz „Die Krise in der Erziehung“. Nicht von ungefähr, sondern bewusst steht diese Aussage innerhalb ihrer Konzeption aufgeklärten Lernens für das Problemfeld Gesellschaft; ausgehend von der Erziehungskrise der Nachkriegszeit in den USA.

Der Anspruch, verantwortlich für Gesellschaft und Welt zu sein, wäre eine Überforderung, würde sie den Menschen als bloßes Individuum betreffen. Verantwortung kann nur wirksam sein, wenn sie auch gesellschaftlich strukturiert und organisiert ist. Mitbestimmung, Gewaltenteilung, Minderheitenschutz, demokratische Verfassung und Rechtsstaatlichkeit sind keine Zugaben, sondern für das friedliche und gerechte Zusammenleben der Menschen konstitutiv, denn, um Hannah Arendt noch einmal zu zitieren, die Welt muss „dauernd neu eingerenkt werden“.

Hannah Arendt (1906-1975) hat in ihrer publizistischen Tätigkeit immer wieder auf die Notwendigkeit und das Risiko des Denkens und Lernens „ohne Geländer“ hingewiesen. Ich verweise zum Lektüreeinstieg auf die Text- und Briefsammlung „Denken ohne Geländer“, hrsg. v. H. Bohnet und K. Stadler, im Piper-Verlag, München/Zürich 2005.

Des weiteren erinnere ich an Pablo Picassos berühmtes Bild „Guernica“, das 1937 als Reaktion auf die Zerstörung der Stadt Guernica im spanischen Bürgerkrieg durch den Luftangriff der deutschen Legion Condor entstand und heute im Museum in Madrid zu sehen ist. Die Fackelträgerin – in diesem Bild – erhellt die Vernichtung von Mensch und Tier durch faschistische Gewalt.

Ich wünsche mir, dass die Veranstaltungen in den 31 Klöstern und Kirchen der Klosterlandschaft Westfalen-Lippe „finde dein Licht“ zu Beginn des Neuen Jahres 2020 diese – weiterhin weltweit aktuelle – Aufklärung mit bedenken und zur Sprache bringen. Denn die Lichtmetapher ist mehrdeutig: sie zielt nicht nur auf die Erleuchtung nach innen, sondern verlangt Aufklärung in die Gesellschaft und die Welt.

Ich sehe darin eine dauernde Verpflichtung für die Arbeit in meinem Projekt des „Aufgeklärten Realismus“ und verweise auf mein im Februar 2020 erscheinendes Buch: „Aufgeklärter Realismus. Ein Handwörterbuch als Gesprächsgrundlage für Atheisten und Christen inklusive einer skurrilen Aufklärungsgeschichte: Der Papst steht Kopf“. Das Buch erscheint im agenda-Verlag in Münster, umfasst etwa 240 Seiten, und kostet 17,90 EUR.