Notwendige und Sinn-erschließende Übersetzung der Leistungen des menschlichen Bewusstseins vom theozentrischen ins anthropozentrische Weltbild

In einem Weltbild lassen sich die grundsätzlichen Erkenntnismöglichkeiten des menschlichen Bewusstseins in einer jeweiligen Epoche (Weltverständnis) aufzeigen und zusammenfassen. Ich unterscheide die Vorstellungen, Denkmöglichkeiten (Potenzen) und Sprachformen (Sprachspiele) vor und nach der Aufklärung und kennzeichne sie zusammenfassend als theozentrisches und anthropozentrisches Weltbild.

Die Ablösung der Weltbilder lässt sich sowohl historisch als auch strukturell beschreiben. Der Ablösungsprozess verläuft sowohl chronologisch als auch gleichzeitig – in struktureller Konkurrenz – ab.

Im theozentrischen Weltbild (der zwei Wirklichkeiten) sind Theophanie, Apotheose und Adoptionismus vorstellbar und in religiösen Sprachspielen erzählbar. Die Welt der Götter/des Gottes und die Welt der Menschen auf der Erde stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander und werden in vielfältigen Schöpfungsmythen erzählt. Paradieserzählungen stehen oft am Anfang oder werden zukünftig erwartet.

Im anthropozentrischen Weltbild wird die Trennung von Himmel und Erde (und Unterwelt) als Mythos entziffert. Aufgeklärte Menschen halten auf der Basis dieser Welterkenntnis Paradiesvorstellungen (sowohl im Himmel wie auf der Erde) für eine erklärbare Illusion.

Die Frage ist: Bleibt dem aufgeklärten homo sapiens am Ende des Anthropozän nur der allgemeine Pantheismus oder eine vielfältige Form des Atheismus als mögliche Weltanschauung? Meine Antwort ist: Nein!

Zumindest die hebräische Bibel – als Grunddokument von Judentum und Christentum – und ihre griechische Übersetzung (LXX) kennen das Messianische Denken; die Propheten erwarten den Messias als (konkrete) Utopie in vielfältigen apokalyptischen (und damit chronologisch erzählten) Sprachspielen. Die Zeit/Wiederkehr des Messias/Christus ist nahe (als Naherwartung oder in kairologischer Erfahrung – jenseits von Raum und Zeit. In dieser Utopie ist Erlösung universal denkbar, konkret vorstellbar und überzeugend (als Credo/Glaube) mitteilbar.

Ich behaupte, auch für aufgeklärte Menschen – nicht nur aufgeklärte Juden und Christen – ist Erlösung denkbar. Das bedeutet: Atheismus muss keine Weltanschauung sein, sondern auf die „Gotteshypothese“ (so Bonhoeffer) beim Lösen von Problemen im Alltag, in der Gesellschaft und in der Wissenschaft kann verzichtet werde. Ich spreche daher vom „methodischen Atheismus“.

Da alles Problem-Lösen vorläufig ist (Provisorium und Antizipation zugleich), kann und muss Erlösung im heutigen Bewusstsein der Menschen mitgedacht werden. In das anthropozentrische Weltverständnis übersetzt, bedeutet das: Erlösung (konkret: der Erlöser) kann kairologisch erfahren und mitgeteilt werden: als Befreiung und Umkehr.

Für aufgeklärte Christen ist die Botschaft des Messias Jesus aus Nazaret maßgebend (dokumentiert in den „Evangelien“ des Neuen Testamentes als Explikation der prophetischen Verheißungen) und es gilt der kategorische Imperativ des exil-jüdischen Schriftgelehrten Paulus aus Tarsus: „Euer Leben sei ein ‚vernünftiger Gottesdienst‘“ (eine griech. latreia logiké).

p.s.

Chronologisch erzählte Messias-Erwartungen müssen in kairologisch erfahrene Befreiung übersetzt werden.

Gerade habe ich gelesen:

(1) Daniel Boyarin, Die jüdischen Evangelien. Die Geschichte des jüdischen Christus, Würzburg 2015, Judentum, Christentum, Islam. Interreligiöse Studien, Bd. 12 (übersetzt aus dem Amerikan., New York 2012)

Was ist der menschliche Geist (mind)? – Was ist Aufklärung (enlightenment)?

Was ist der menschliche Geist (mind)?

Was ist Aufklärung (enlightenment)?

Auf diese Fragen antworte ich zum argumentativen Gebrauch als Philosoph: Gemeint ist die Fähigkeit des homo sapiens, durch sein Bewusstsein zu denken und sich zu denken (Entwicklung des Selbstbewusstseins).

Am Anfang der Bewusstseinsbildung des homo sapiens steht die Gesprächsfähigkeit, die Kommunikation. Die Möglichkeit des Gespräches schafft Verständigung. Die Verständigung in der Menschengruppe und die Entwicklung des individuellen Bewusstseins sind seit Beginn des Lernens des einzelnen Lebewesens, also seit seiner Entstehung, in einer dauernden Wechselwirkung.

Die Möglichkeiten und Leistungen des Bewusstseins bezüglich seiner Inhalte lassen sich als gemeinsame Schnittmenge von Natur und Norm (der Kulturbildung) beschreiben. Die Fähigkeit zu denken ist von Anfang an ein Prozess des Verstehens und der Verständigung. Daher entwickelt sich die Bildung des Bewusstseins in der Form des Gespräches; sei es zwischen Mutter und Kind (schon vor der Geburt) oder in der Wahrnehmung der Umwelt.

Das Bewusstsein des Menschen hat drei zu unterscheidende Denkmöglichkeiten; diese drei Möglichkeiten (Potenzen) sind (zunächst) an der Entwicklung der menschlichen Sprache abzulesen:

  1. Sprachspiele, die logisch aufgebaut und rekonstruierbar sind; Grundlage ist das begreifende Denken.
  2. Sprachspiele, die erzählend/poetisch aufgebaut sind und zwischenmenschliche Erfahrungen zum Ausdruck bringen; ich spreche vom poetischen Denken.
  3. Sprachspiele religiöser Art, die ein theozentrisches Weltbild zur Voraussetzung haben und – gemäß des Projektes der Aufklärung – der Übersetzung auf der Grundlage heutiger anthropozentrischer Weltdeutung bedürfen, um ihre (existenzielle) Bedeutung in aenigmatischer Form zu erkennen.

Entweder sind religiöse Aussagen (auf theozentrischer Basis) Projektionen und/oder steckt in ihnen eine (verborgene) Botschaft in Form einer Utopie. Ich spreche in diesem Fall vom utopischen Denken.

Religiöse Sprachspiele bedürfen der Übersetzung, da sie mehrdeutig oder sinn-los sind. Sinnlos ist ein Sprachspiel, wenn es nicht kommunikativ ist.

Das Bewusstsein projiziert seine Raumerfahrung in eine Mehrzahl von Räumen (z.B. Erde, Himmel, Unterwelt). Es projiziert seine Zeiterfahrung (im chronologischen Sinn) in ein verursachtes oder erwartetes Ende (im Sinne der Apokalypse).

Demgegenüber verweist das utopische Denken – und die entsprechenden Sprachspiele – auf menschliche Erfahrung ausserhalb von Zeit und Raum, aber innerhalb der Denkmöglichkeiten des menschlichen Bewusstseins. Ich spreche daher von kairologischer statt chronologischer Erfahrung. Wenn von „Augenblick“ oder „Ewigkeit“ gesprochen wird, wenn Oxymora benutzt werden (wie z.B „Menschwerdung Gottes“), kann die Utopie der Erlösung gemeint sein. Da die Menschen sterblich sind, kann  „Erlösung“ nur in utopischer Weise gedacht und gesprochen werden (jenseits von Raum und Zeit).

Wie können die Potenzen des sterblichen Bewusstseins einheitlich – ohne Hilfe metaphysischer Konstruktionen – zusammengefasst werden?

Die einheitliche Aktivität des Bewusstseins – bei unterschiedlichen Denkmöglichkeiten – besteht darin, Probleme zu lösen (erfolgreich und wiederholbar). Diese Lösungen sind vorläufig (im doppelten Sinn: provisorisch und antizipativ), da die Schöpferkraft des homo sapiens begrenzt, sterblich ist.

Daher spricht Hannah Arendt davon, dass die Menschen sterbliche Schöpfer sind (1958/2000) (– und keine Geschöpfe).

Erlösung ist die Hoffnung allen Problemlösens; diese Konsequenz kann als (konkrete) Utopie gedacht und bekannt werden (im Sinne von bekennen).

 

p.s.

Problemlösungen (im weiten Sinn) können erinnert, gesammelt und „ausgelagert“ werden (Schrift,Papyrus, Buch, Bibliothek, Internet – AI); das ändert nichts an ihrer Vorläufigkeit und der Verantwortung (der homo sapiens als homo praestans).

Die jüdisch/christliche Bibel  kennt zwei grundlegende Erzählungen: die messianische Perspektive der Erwartung der Erlösung (in der konkreten Utopie des Erlösers/Messias) und die rückblickende Schöpfungsperspektive (Schöpfungsmythen/Paradiesvorstellungen). Für die jüdische Täuferbewegung in der Konsequenz der Prophetenreden ist das messianische Denken (die Erwartung des Messias) primär; der Rückblick auf die Schöpfung der Welt und die Erschaffung des Menschen sind sekundär.

Der Rückblick auf den Anfang setzt ein theozentrisches Weltverständnis voraus; Gott als Schöpfer, der Mensch als Geschöpf. Dieses Verständnis drückt sich in religiösen Sprachspielen aus (religo = Rückbezug).

Die Messias-Erzählungen sind zukunftsorientiert (Utopie der Erlösung; konkret: Messias-Utopie). Das messianische Denken kann daher auch in das anthropozentrische Weltbild integriert und übersetzt werden. In diesem Weltverständnis wird „Gott“ zu einer aufzuhebenden „Arbeitshypothese“ (so Dietrich Bonhoeffer); dennoch kann Erlösung (als Utopie) gedacht werden.

Diese Überlegung erlaubt mir einerseits beim Lösen von Problemen einen „methodischen Atheismus“ zu unterstellen, andererseits „Erlösung“ als konkrete Utopie zu denken und zu bekennen. Daher folgere ich: ein aufgeklärter Mensch (am Ende des Anthropozän) kann ein methodischer Atheist und zugleich ein aufgeklärter Christ sein.

Dieses Resultat ergibt sich auch, wenn ich das Programm der Aufklärung konsequent zu Ende denke und nicht mit Immanuel Kant (Was ist Aufklärung? 1783) beginne, sondern mit Erasmus von Rotterdam und seiner Korrektur des Prologs des Johannes-Evangeliums in der Vulgata-Übersetzung des Hieronymus: logos = sermo, nicht verbum; im Anfang war das Gespräch, nicht das Wort (vor 1518). Übrigens: Martin Luther kannte diesen Übersetzungsvorschlag von Erasmus in einigen seiner lateinischen Varianten, hat ihn aber bei seiner Übersetzung ins Deutsche nicht berücksichtigt.

Ich nenne meine vier Grundaussagen des universalen Programms der Aufklärung:

  1. Im Anfang war das Gespräch, die Kommunikation, nicht das isolierte, dogmatische Wort. (Erasmus von Rotterdam)
  2. Habe den Mut, dich deines Verstandes zu bedienen! (Mündigkeit/Autonomie/Verantwortlichkeit; der homo sapiens als homo praestans) (Immanuel Kant)
  3. Die Menschen sind sterbliche Schöpfer (nicht Geschöpfe); deswegen sind sie für den Erhalt der Welt und die Lebensbedingungen der Menschen verantwortlich. (Hannah Arendt)
  4. Die Menschen können und müssen nicht nur Probleme lösen, sie können Erlösung denken (als Umkehr und Befreiung von Zwang, Kult und Tod – in Form der konkreten Utopie). (Paulus aus Tarsus)

Der Papst steht Kopf

Wie sein Geheimbesuch in Münster in Westfalen das Weltbild der römisch-katholischen Kirche radikal veränderte – Eine skurrile Aufklärungsgeschichte

Vorbemerkung: diese folgende „skurrile Aufklärungsgeschichte“, eine fiktive Glosse mit „biografischen Einsprengseln“, ist eine Vor-Veröffentlichung. Ich plane, sie – statt eines Nachwortes – in meinem neuen Buch „Aufgeklärter Realismus. Leitfaden zu einem zeitgemäßen Welt- und Menschenbild als Grundlage für eine dreifache Theorie des menschlichen Wissens, des verantwortlichen Handelns und des utopischen Hoffens“, das im Spätherbst dieses Jahres (2019) erscheinen soll, zu veröffentlichen.

Im Folgenden schreibe ich auf, wie ich dieses imaginäre Ereignis aufgearbeitet habe. In der obigen Überschrift meines Berichtes wird die Tendenz schon deutlich: Der Papst steht Kopf. Wie sein Geheimbesuch in Münster in Westfalen das (sein?) Weltbild der römisch-katholischen Kirche radikal veränderte.

Es ist kein Zufall, denn den gibt es nicht (casus non datur), und grenzt fast schon an ein Wunder (und daran glaube ich nicht), dass ich in meinem Alter von weit über 70 Jahren – obwohl dieses Alter die Kommunikation mit dem Bischof von Rom erleichterte – die einmalige Gelegenheit hatte, den Bischof von Rom, den ein Teil der Christen als sog. Oberhaupt anerkennt, für einen Tag durch die Stadt Münster zu begleiten und das Wahrgenommene – von mir ausgewählt – zu kommentieren.

Ich nenne das Ergebnis oder die Wirkung meiner eigenwilligen Stadtführung vorweg, um traditionelle Leserinnen und Leser, wenn es die dann gibt, nicht zu sehr zu irritieren: Es gelang, nein, nicht mir, sondern der Macht der reflektierten Wahrnehmung, das Weltbild des Bischofs von Rom, und damit das Menschen- und Weltbild der römisch-katholischen Kirche umzukehren, vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Ich phantasiere, der Bischof von Rom, also das von den Mitgliedern der römisch-katholischen Weltkirche (mehr oder weniger) anerkannte Oberhaupt, wäre zu einem unvermuteten Kurzbesuch inkognito in Münster eingetroffen und ich hätte die Aufgabe, ihm als ein sachkundiger Stadtführer und aufgeklärter Christ innerhalb eines Tages drei Dokumente aus der Geschichte und Gegenwart dieser Stadt zu zeigen und zu erläutern; einer ehemals fürstbischöflichen Stadt der Friedensverhandlungen zu Ende des Dreißigjährigen Krieges mit weitreichenden Konsequenzen; einer Stadt mit (ehemals) katholischem Milieu, die nie reformiert und aufgeklärt wurde.

Ich würde mit dem Bischof von Rom die Astronomische Uhr im Paulusdom besuchen, die Besonderheiten des Lambertikirchturms erklären – inklusive zweier Abstecher in den Friedenssaal des Rathauses und in das Stadtmuseum am Ende der Salzstraße –, und abschließend in der (ehemaligen) Dominikanerkirche verweilen, um anhand des Foucaultschen Pendels in der künstlerischen Fassung von Gerhard Richter die heutige Menschen- und Weltsicht erklären.

Mein Ziel, meine Intention des folgenden Berichtes mit Reflexion ist also, das Menschen- und Weltbild des Papsttums der römisch-katholischen Kirche vom Kopf auf die Füße zu stellen. Vor der Niederschrift meines Berichtes kann ich noch einige Marginalien klären, die meinem Bericht eine ausreichende Plausibilität verleihen.

Wir waren am Morgen vor der Bischöflichen Residenz auf dem Domplatz verabredet. Er hatte darum gebeten, von keiner örtlichen Geistlichkeit oder lokaler wie nationaler Politikprominenz begleitet zu werden. Auch ich war gebeten worden, alleine zu erscheinen; vor allem die Medien nicht zu informieren. So stand der Bischof von Rom im schwarzen Anzug ohne römischen Kragen im Vorhof des bischöflichen Palais, begleitet von seiner Sekretärin (ohne Ordenskleid) und seinem Sekretär in ziviler Kleidung (vielleicht ein Sicherheitsbeamter der päpstlichen Garde).

Bei einem Vorgespräch mit seiner Sekretärin im Campo Santo Teutonico im Vatikan – dazu war ich überraschenderweise eingeladen worden – hatten wir ein Erkennungszeichen vereinbart: seine Anzugsjacke zierte ein kleines Petruskreuz; das hatte ich nicht ohne Hintergedanken vorgeschlagen, obwohl bei seiner Medienpräsenz nicht notwendig; stattdessen Sonnenbrille und ein weitkrampiger Stohhut. Auch ich war in schwarz; nichts besonderes, sondern bei mir oft üblich. Auf dem Revers meiner Jacke klebte ein kleines Fischsymbol (mit den griechischen Großbuchstaben: ICHTYS).

Durch welche Indiskretion oder welches Missverständnis ich zu dieser ungewöhnlichen Stadtführung eingeladen wurde, weiß ich nicht. Manche werden das Verb „einladen“ durch „auserwählen“ ersetzen wollen und ihren Neid kaum verbergen können. Ich war zutiefst überrascht. Die Ordensschwester und Sekretärin, die ich auf meinen Wunsch hin im Campo Santo Teutonico im Vatikan traf, verriet nur soviel: man wisse, dass mein Studium in Freiburg im Breisgau durch die Stiftung der deutschen Bischöfe gefördert worden sei (meine Doktorarbeit wurde dann durch ein Stipendium des Landes NRW unterstützt) und ich vor kurzem ein Buch über das Verhältnis von Christen und Atheisten veröffentlicht hätte. Auch sei ich meinem Taufgelöbnis (das meine Großeltern für mich abgegeben haben) trotz aller Distanzierung treu geblieben und hätte bis zum Rentenalter katholischen Religionsunterricht erteilt. Und da ich mich mit der Täuferbewegung in Münster intensiv und öffentlich beschäftigt habe, würde ich nun gebeten, den Papst in einer geheimen Mission zu unterstützen. Der Papst zähle auf meine Verschwiegenheit.

Demgegenüber verwies ich auf meine langjährige Distanzierung zur Praxis der Kirche, die mit gutem Grund als Kriminalgeschichte zu deuten sei. Daher hätte ich auch den Deutschen Friedhof im Vatikan als Treffpunkt ausgewählt, denn vor längerer Zeit sei der Leiter, ein deutscher Prälat, der zuvor Leiter des Cusanuswerkes war, wegen dunkler Geschäfte „aus dem (öffentlichen) Verkehr“ gezogen worden. Sie entgegnete, immerhin hätte ich unter seiner Leitung drei Wochen lang hier in Rom eine Akademie besucht. Ich schwieg und wunderte mich nicht über die exakten biografischen Vorermittlungen, sondern gab meine Zustimmung.

Aber einen Wunsch meinerseits bat ich weiterzuleiten: auch weil es sich um einen geheimen Besuch handele, würde ich den Papst mit „Herr Bischof“ anreden. Denn so wie es mit Recht keine Fürstbischöfe mehr gebe, dürfe es auch keinen Papst-Titel mehr geben. Leider habe sich die Säkularisierung weltweit und vor allem im Vatikan noch nicht durchgesetzt.

Ich sah ihr Stirnrunzeln, aber sie versprach, meinen Wunsch weiterzuleiten. Zuvor hatte ich sie damit zu trösten versucht, dass ich ihr davon erzählte, dass ich 1963 in der Universität Münster die Vorlesung von Josef Ratzinger „Einführung ins Christentum“ mit Interesse besucht hätte. Eine Reaktion blieb aus.

Das Weltbild der Astronomischen Uhr im Dom zu Münster: Die zerbrechende Einheit von Astrologie und Astronomie – Zum Verhältnis von Chronos und Kairos

Leicht verunsichert, ob nicht doch die Presse uns umzingeln würde, gingen wir auf den Dom zu und erreichten durch das Paradies, die Vorhalle, den südlichen Chorumgang und blickten auf die dreiteilige Schauwand der Astronomischen Uhr.

Die nach der Zerstörung durch die Täuferbewegung 1540 wiederhergestellte Uhr unterstellt einerseits das theozentrische Weltbild mit christologischer Perspektive, erlaubt andererseits eine chronologisch exakte Zeitbestimmung auf der Erde wie den Lauf der Planeten. Diese Konstellationen konnten also den Stand der Planeten am Himmel während eines bestimmten Zeitpunktes fixieren und – im Sinne der Astrologie – bewerten. Astronomie und Astrologie bildeten eine auch von der Kirche akzeptierte , wenn auch zunehmend zerbrechende Einheit. Der Stand der Gestirne am Himmel erlaubte eine auch prognostische Bewertung der irdischen Abläufe. Wobei der Ablauf der Geschichte auf der Erde durch den Kreislauf der Jahreszeiten geprägt war – und nur einmal im Jahr – in der Silvesternacht – musste der Jahreszeiger von Menschenhand bewegt werden. Die Messbarkeit und Wiederkehr der Himmelsmechanik schien die Stabilität der chronologisch ablaufenden Geschichte auf der Erde zu sichern. Noch korrelierten Kosmologie und menschliche Herrschaft miteinander und die christliche Kirche war der Garant dieser Stabilität Reform und Revolution waren in diesem Weltbild nicht (oder nur insgeheim) denk- und realisierbar; Reformation, Umsturz und Aufklärung blieben „außen vor“.

Meine Gäste stehen staunend vor diesem Kunstwerk und seiner bis heute ablaufenden Mechanik; aber ich gebe zu bedenken, schon wenige Jahre vor dieser Neukonstruktion stellten die Täufer diesen Ablauf radikal in Frage; wenn auch in Form einer chronologisch vorgestellten endzeitlichen Apokalyptik. Und die Reformatoren hinterfragten die Stabilität dieser Konstruktion und die Berechtigung der christlichen Kirchen, diese Konstruktion zu legitimieren.

Wer den Dombezirk verlässt und sich dem bürgerlichen Stadtbezirk mit seinem Prinzipalmarkt nähert, kann die spätgotische Lambertikirche mit ihrem heutigen Turm (vom Ende des 19.Jahrhunderts) nicht übersehen.

Stigmata am heutigen Lambertikirchturm: Schiller, Goethe und die Käfige der hingerichteten Täufer. Der spezifische Umgang mit der missachteten Aufklärung: zwischen Possenspiel (Stadtmuseum am Ende der Salzstraße, Säulenkapitelle an der Rathausfassade) und Friedenskompromiss (Friedenssaal des Rathauses)

Ich erläutere, dass Ende des 19. Jahrhunderts der baufällig gewordene Kirchturm abgerissen wurde, und ein neuer Turm entstand, gegen den Wunsch der preußischen Obrigkeit ein Imitat des Freiburger Münsters. Vor allem die drei abgelassenen Eisenkäfige, in denen die Körperteile der hingerichteten Anführer des Täuferreiches den Vögeln zum Fraß ausgesetzt und den Bürgerinnen und Bürgern zur Abschreckung und Warnung ausgestellt worden waren, wurden wieder – allen sichtbar – hochgezogen. Daran änderte auch das Possenspiel nicht, das Professor Landois, exkommunizierter Priester und Darwinist, Gründer des Münsteraner Zoos und später zu einem Münsteraner Original stilisierter Zoologe, veranstaltet hatte. Er ließ drei weitere Eisenkäfige nachbauen und behauptete, diese seien die echten. Heute sind diese Resultate der Possenspielerei im Stadtmuseum am Ende der Salzstraße zu bestaunen. Dieser verharmlosende, touristenattraktive Umgang mit der Geschichte hat in Münster, der katholischen Metropole des Münsterlandes Tradition; daran ändern auch die in den Käfigen angebrachten, der Kunst verpflichteten „Irrlichter“ nicht. Und das regelmäßige Trompetensignal der (städtisch angestellten) Trompeterin mochte vor Feuersbrunst in früheren Zeiten schützen, aber den Schlaf der Münsteraner Bürgerinnen und Bürger stört es bis heute nicht.

Mehr oder weniger versteckte Elemente der Possenspielereien konnte ich meinen Gästen zeigen: zwei der in Stein gemeißelten Heiligenfiguren im Westportal erinnern in ihren Gesichtern an Schiller und Goethe, ein Säulenkapitell am nach dem Krieg wiederhergestellten Renaissance-Rathaus zieren Köpfe der auf dem Prinzipalmarkt hingerichteten Täuferführer, und im Stadtmuseum ist neuestens, in kleine Flaschen verpackt, Taufwasser der Täufer zu kaufen: hochprozentiger klarer Schnaps.

Die Verwunderung meines Inkognito-Gastes nahm zu und er murmelte etwas von italienischen Verhältnissen, die er im Münsterland nicht vermutet habe. Aber meine voreilige Interpretation des spezifischen Umgangs mit der gefürchteten Obrigkeit und der missachteten Aufklärung beeindrucke nicht weiter. Während wir nach einem Umweg in den Friedenssaal zu Ende des Dreißigjährigen Krieges Richtung ehemaliger Dominikanerkirche gingen, erzählte ich von den vergeblichen Einsprüchen der päpstlichen Delegation, dessen Leiter später Bischof von Rom (und damit Papst) wurde: Die Niederlande erhielten ihre garantierte Unabhängigkeit und das Recht der freien Religionsausübung. Und eine einmalige „Absonderlichkeit“ des Friedensvertrages, die Nachbardiözese Osnabrück betreffend, musste ich erwähnen: die dortigen Fürstbischöfe waren – bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, also bis 1803, abwechselnd katholisch oder evangelisch.

Wie der römische Papst in der Dominikanerkirche die Erdrotation erfuhr, die leibliche Himmelfahrt als symbolische Täuschung erkannte und als aufgeklärter Bischof in seine römische Diözese zurückkehrte.

Höhepunkt und Abschluss meiner außergewöhnlichen Stadtführung war der Aufenthalt in der Dominikanerkirche mit der durch Gerhard Richter künstlerisch gestalteten Installation des Foucaultschen Pendels. Ich war überrascht, dass er, der vor Jahren auch in Deutschland studiert hatte, die Wirkung dieses Pendels (aus dem Deutschen Museum in München) kannte, und mir, nachdem ich die unterschiedlichen Weltbildvorstellungen zwischen dem barocken Hochaltarbild der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel aus dem Jahre 1708 (das hinter einer eisernen Gittertür zu sehen ist), und der nur indirekt erfahrbaren Erdrotation, die uns alle trifft und betrifft, offen zugab, das Weltverständnis, das dem Mariendogma von 1950 zugrunde läge, sei für einen aufgeklärten Menschen nicht mehr versteh- und vermittelbar. Und das habe auch Konsequenzen für ein aufgeklärtes Menschenbild. Seine Sekretärin – die unerkannte Ordensschwester – wollte immer noch nicht glauben, dass sie, auf dem Erdboden stehend, um das gleichschwingende Pendel rotierte. Der Bischof von Rom scherzte noch, dass er nicht 30 Stunden Zeit habe, das Pendel zu umkreisen,

bedankte und verabschiedete sich, und verschwand mit seiner Begleitung im Dienstwagen Richtung Flughafen.

p.s.

Wenn ich mich nicht getäuscht habe, ist in naher Zukunft eine Enzyklika zum Thema Säkularisierung, Aufklärung und Menschenwürde durch den Bischof von Rom zu erwarten.

Übrigens wäre das Petruskreuz am Revers seines Anzugs umdrehbar. Den legendären Petrusakten nach wurde Petrus nach seiner Verhaftung kopfüber gekreuzigt. Er habe seinen Wunsch damit begründet, dass er nicht würdig sei, auf die gleiche Weise wie Christus zu sterben.

Überlegungen zu KAIROS oder der AUGENBLICK (nach Kierkegaard)

Søren Kierkegaard brachte die Zeitschrift „Augenblick“ (dänisch Ojeblikket) 1855 in Kopenhagen heraus; er war ihr Redakteur und einziger Beitragsschreiber. Neun Nummern erschienen in diesem Jahr 1855; die zehnte erst 26 Jahre nach dem Tode Kierkegaards (im November 1855). 1988 ist diese „Zeitschrift“ DER AUGENBLICK auf Deutsch in Nördlingen erschienen; hrsg. Von H.M. Enzensberger in seiner Reihe „Die andere Bibliothek“.

Ich wurde durch einen Vortrag in der letzten Woche, in dem ein Bogen von Hegel und Marx zu Kierkegaard geschlagen wurde, an diesen exzentrischen dänischen Theologen und Existenzphilosophen erinnert und hoffte, dass der von mir gebrauchte Begriff „kairos“ (im Gegensatz zu chronos) bei Kierkegaard eine spezielle Auslegung fände. Zunächst fand ich die mir bekannte (und im Alter gesteigerte) Polemik Kierkegaards gegen das verwaltete Christentum und dessen Repräsentanten: die dänisch-lutherische Staatskirche und ihre Bischöfe und Pfarrer. Diese ätzende Kritik ist der „rote Faden“ aller Beiträge dieser fiktiven Zeitschrift.

In dem Beitrag vom 29. Mai 1855 beantwortet Kierkegaard die Frage: Wann ist der „Augenblick“?

„Denn der Augenblick ist eben das, was nicht in den Umständen liegt, das Neue, der Einschlag der Ewigkeit (Hervorhebung von mir) – aber im selben Nu beherrscht es die Umstände in dem Grade, dass es trügerischerweise (darauf berechnet, weltliche Klugheit und Mittelmäßigkeit zum Narren zu halten) so aussieht, als ginge der Augenblick aus den Umständen hervor.“

Im weiteren nennt Kierkegaard den Augenblick das „Geschenk des Himmels“ und schließt seine Antwort mit der für ihn typischen überspitzten Aussage:

„Weltliche Klugheit ist ewig ausgeschlossen, im Himmel mehr verachtet und verabscheut als alle Laster und Verbrechen, wie sie ist; denn sie gehört ihrem Wesen nach von allem am meisten dieser elenden Welt an und ist am meisten von allen davon entfernt, mit dem Himmel und dem Ewigen zu tun zu haben.“ (a.a.O. S. 254)

Hier wird das „Lob der Torheit“ in der Kierkegaardschen Fassung besungen; anders als bei Erasmus von Rotterdam, obwohl sich beide auch auf Paulus aus Tarsus beziehen. Kierkegaard verweist in seinen Beiträgen zum „Augenblick“ auf die Tradition: er beginnt mit seinem „Kronzeugen“ Sokrates (ich weiß, dass ich nichts weiß) und kulminiert in der Demontage der Klugheit jüdischer Schriftgelehrter durch Jesus aus Nazaret.

Ich ergänze die Tradition dieser Denkschule und ihrer Lebenspraxis mit Hinweis auf Diogenes und die Kyniker aus hellenistisch-jüdisch-römischer Zeit. Heutzutage formuliert Bernhard Lang (2015):

„Wir können Jesus als eine Diogenesgestalt sehen. Er verdient einen Platz unter den Philosophen der antiken Welt“. (S. 46, B. Lang: Jesus, der Philosoph, Gütersloh 2015; vgl. Bernhard Lang: Jesus, der Hund. Leben und Lehre eines jüdischen Kynikers, München 2010) Und auch die Vision und Botschaft des Paulus aus Tarsus in Kleinasien – in seiner Kenntnis und Auseinandersetzung mit der Stoa und den Kynikern seiner Zeit gehören in diesen Kontext.

Ich kehre zu der Auffassung von Kierkegaard zurück, Ewigkeit (oder Erlösung) nicht als chronologischen Wende- oder Endpunkt zu deuten, oder – aus der jüdisch-christlich-apokalyptischer Tradition heraus – als Wiederkunft Christi am Ende der Zeit chronologisch misszuverstehen. Kierkegaard spricht vom „Einschlag der Ewigkeit“, der nicht aus den „Umständen“ der Geschichte erklärt werden kann, sondern ein Ereignis sui generis ist.

Aber anders als Kierkegaard ziehe ich aus diesem Ereignis eine entgegengesetzte Konsequenz: dieser „Einschlag“ bedeutet nicht Abschied oder Trennung von der „elenden Welt“, sondern metanoia, Metamorphose. Entweltlichung ist keine Weltflucht, sondern im Sinne Jesu und seines Botschafters Paulus Befreiung – im Sinne der Nachfolge Jesu, unkonventionell, als radikale Menschenliebe. Ich erkenne im Neuen Testament, in der Botschaft wie im Verhalten Jesu, als auch in Theorie und Praxis seines Botschafters Paulus keine dualistische Tendenz (wie z.B. in Teilen der Gnosis oder des Manichäismus).

Menschen, die das Ereignis vom Einschlag der Ewigkeit erfahren und bekennen, sind befreit, passen sich dem herrschenden Äon dieser Welt nicht an, sondern schaffen eine neue Welt in der bestehenden. Paulus nennt dieses Verhalten in Theorie und Praxis im Römerbrief einen vernünftigen Gottesdienst (latreia logiké): „Fügt euch nicht ins Schema dieser Welt, sondern verwandelt euch durch die Erneuerung eures Sinnes, dass ihr zu prüfen vermögt, was der Wille Gottes ist: das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“ (Röm 12,2)

Kierkegaard ist meiner Überzeugung nach in der Gefahr, dieses Ereignis – ich spreche in anderem Zusammenhang von konkreter Utopie – gnostisch/manichäistisch misszuverstehen. Daher führt seine Position der Entweltlichung in den Rückzug aus der (bösen) Welt und zur Verdammung der Institutionen – nicht zu ihrer Reform.

Die konkrete Utopie der Erlösung als „Entäußerung“ (Kenosis)

Im Bedenken und Übersetzen (als Versuch) eines urchristlichen Hymnus, den Paulus, der sich wahrscheinlich in Rom im Gefängnis befindet (um das Jahr 59/60 n.Ch.) und der sich als Sklave des Christus Jesus bezeichnet, in seinem Brief an seine Freunde in Philippi (Makedonien), die er als die Heiligen des Christus Jesus kennzeichnet, zitiert (Phil 2, 5-11):

Dies sinnt bei euch, was auch in Christos Jesus, der, als er in Gestalt Gottes war, nicht für Raub hielt das Sein gleich Gott, sondern sich selbst entäußerte, Gestalt eines Sklaven annehmend, in Gleichheit von Menschen geworden; und im Äußeren erfunden wie ein Mensch, demütigte er sich selbst, geworden gehorsam bis zum Tod, zum Tod aber (des) Kreuzes. Deshalb auch erhöhte ihn Gott und schenkte ihm den Namen, der über jedem Namen (ist), damit im Namen von Jesus jedes Knie sich beuge, (der) Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne: Herr (ist) Jesus Christos zur Herrlichkeit Gottes (des) Vaters.“

(Studienübersetzung Münchener Neues Testament, Düsseldorf 1998, 5.A.)

Übersetzung des Urtextes (Koine-Griechisch) ins Deutsche 2007; Zürcher Bibel:

Niedrigkeit und Erhöhung Christi
Seid so gesinnt, wie es eurem Stand in Christus Jesus entspricht:
Er, der doch von göttlichem Wesen war,
hielt nicht, wie an einer Beute daran fest,
Gott gleich zu sein,
sondern gab es preis
und nahm auf sich das Dasein eines Sklaven,
wurde den Menschen ähnlich,
in seiner Erscheinung wie ein Mensch.
Er erniedrigte sich
und wurde gehorsam bis zum Tod,
bis zum Tod am Kreuz.
Deshalb hat Gott ihn auch über alles erhöht
und ihm den Namen verliehen,
der über allen Namen ist,
damit im Namen Jesu
sich beuge jedes Knie,
all derer, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,
und jede Zunge bekenne,
dass Jesus Christus der Herr ist,
zur Ehre Gottes, des Vaters.

Wer war Paulus von Tarsus (Kilikien; heute südl. Türkei)?

P. war, soweit wir heute wissen, ein griechisch gebildeter jüdischer Gelehrter, wie (damals üblich) auch ein ausgebildeter Zeltmacher, Anhänger des messianischen Judentums seiner Zeit, Römischer Bürger, Kenner der hellenistischen Philosophie seiner Zeit, Bekenner des Messias Jesus aus Nazaret, Botschafter und erster Theologe des Urchristentums, das sich „weltweit“ (also im Römischen Reich) entwickelte.

In diesem Hymnus wird auf sehr spezielle und konkrete Weise die „Menschwerdung Gottes“ im und durch den „Messias Jesus“ aus Nazaret verkündet, natürlich unter den Erfahrungen und Bedingungen eines theozentrischen (wie auch durch das römische Reich geprägten) Weltbildes.

Mein Problem und meine Frage ist: wie kann die Botschaft des Paulus, und insbesondere der von ihm zitierte „Hymnus“ sinnvoll unter den Bedingungen der anthropozentrischen Welterfahrung und den bewährten Methoden moderner Problemlösung („als wenn es Gott nicht gäbe“), also im „Zeitalter der Aufklärung und Wissenschaft“ übersetzt und verstanden werden?

Ich setze voraus (was ich anderswo erläutert habe), dass unter den Bedingungen der Aufklärung (Kritik jeder Metaphysik, Religionskritik, Sprachkritik) „Erlösung“ der Welt (als Grenzerfahrung allen vorläufigen Problemlösens) denkbar und erfahrbar, aber nicht begreifbar ist. „Erlösung“ ist daher nur als „Utopie“ beschreibbar.

Ich übersetze den von Paulus zitierten „Kenosis-Hymnus“ in ein heutiges Sprachspiel. Unsere Sprachen kennen nicht nur „logische“ Sprachspiele, die widerspruchsfrei und begreifbar sind, sondern auch Sprachspiele, die die Struktur von „Oxymora“ haben und auf spezielle Weise erfahrbar sind (auch dies habe ich anderswo erläutert).

Ein erster Versuch:

Erlösung als konkrete Utopie

Ein konkreter Mensch
prophezeit das Ende der Zeit (als kairos nicht chronos),
nicht als mächtiger Herrscher (König oder Kaiser oder Führer),
der das Paradies auf Erden verspricht;
sondern als hingerichteter Verbrecher (in der Sicht und Macht der Mächtigen)
Vertrauen erwartet (ohne es erzwingen zu können oder wollen).

Wer dem Gekreuzigten als „Messias“ vertraut (pistis),
der kann befreit und ohne Zwänge denken und handeln,
der muss sich nicht den herrschenden Gesetzen der Macht anpassen,
sondern kann und muss prüfen, was gut und gerecht ist.

In diesem Sinn ist er befreit und bereit,
Gerechtigkeit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit zu realisieren.
Selbst der Tod hat keine Macht mehr über ihn,
obwohl er als Naturwesen sterblich bleibt.

Zum Verhältnis von Macht und Gewalt, Gebrauch und Missbrauch

Unkontrollierte Macht schlägt in Gewalt um. Gewalt realisiert sich in Zerstörung und Selbstzerstörung; in Hass und Vernichtung. Der Gebrauch der Macht kann in Missbrauch umschlagen; das ist der Preis der Freiheit.

Menschen sind Vernunft- und Naturwesen. Sie sind, wie Hannah Arendt sagt: sterbliche Schöpfer.

Sie können ihre Macht gebrauchen und missbrauchen. Sie allein sind verantwortlich für Verbrechen, aber auch für die Durchsetzung der Menschenwürde und Menschenrechte und die Gestaltung gerechter gesellschaftlicher Verhältnisse.

Menschen (als Vernunftwesen) haben die dauernde Verpflichtung und Aufgabe, Menschenwürde für alle und Pflege der Natur durchzusetzen. Als Vernunftwesen sind sie in der Lage und dafür verantwortlich, gerechte Lebensverhältnisse zu realisieren und Missbrauch zu verhindern bzw. einzugrenzen. Menschen sind daher dazu bestimmt (im Sinne der Selbstbestimmung), Probleme zu erkennen und zu lösen; Erlösung ist eine (notwendige) Utopie.

Ein zweiter Versuch:

Jesus Christus Erlöser (Erlösung gedacht in einer und durch eine konkrete Person), diese Botschaft (in Form einer konkreten Utopie) setzt auf Vertrauen; und dieses Vertrauen (pistis) verheißt zeitloses Leben (im Sinne des kairos). Diese konkrete Hoffnung wird existenziell erfahren und ermöglicht, Probleme in der Dynamik des Vorläufigen zu lösen.

Zwar bleiben alle Lösungswege und Ergebnisse bzw. Entscheidungen an Endlichkeit und Irrtum des menschlichen Daseins gebunden, aber in der „Nachfolge Christi“ sind sie weder Zufall noch Schicksal, das in Vernichtung oder Auflösung endet, sondern ermöglichen Korrektur und Umkehr.

Zwar wird die Differenz zwischen Erfahrung der Umkehr oder Korrektur (metanoia) und Erkenntnis des Begriffenen nicht aufgehoben, aber für die Zeit des irdischen Lebens im Lichte der Zusage des ewigen Lebens relativiert.

„Ewiges Leben“ (ein Oxymoron höchster Stufe) ist als Synonym für „Erlösung“ das entscheidende Sprachspiel eines „Christen“; es beschreibt die existenzielle Erfahrung der Zusage der Erlösung (als eines Geschenkes, das weder erkauft noch erzwungen werden kann). Die Macht dieser Zusage gegenüber den Bedingungen begenzten Lebens (als Naturwesen) kann weder aufgehoben, noch kann diese konkrete Utopie in menschlicher Sprache „begriffen“ werden. Aber dieses „Geschenk“ wurde und wird in einer radikalen Form sprachlich beschrieben, die alle theologischen Vorstellungen „sprengt“: Gott ist Liebe (theòs agápe estín).

Im ersten Johannesbrief wird der Gottesbegriff (im Lichte der Messias-Botschaft) entziffert, und die Gottesvorstellungen des theozentrischen Weltbildes werden so radikal zerlegt, dass diese Aussage auch für uns heutige Menschen verstehbar und bedeutsam sein kann: „Gott“ ist ein synsemantischer Ausdruck für konsequente Menschenliebe. So zumindest übersetze ich das Sprachspiel der „johanneischen Schule“.

p.s.

Diese Reflexion bleibt grenzwertig, da ich nicht ausreichend geklärt habe, wie das Verhältnis von begreifenden Sprachspielen und Sprachspielen, die existenzielle Erfahrungen beschreiben, sinnvoll zu klären ist. Aber dieses spezifische Verhältnis versuche ich in der „Formel“ von der Dynamik des Vorläufigen auszusprechen.

Zusammenfassende Übersetzung:

Erlösung in der Dynamik des Vorläufigen

„Jesus Christus Erlöser“ –
diese Botschaft setzt auf Vertrauen
und verheißt zeitloses Leben.

In der Dynamik des Vorläufigen
können Probleme gelöst werden;
gebunden an Irrtum und Endlichkeit.

In der Nachfolge Christi
herrscht weder Zufall noch Schicksal;
sondern Korrektur und Umkehr sind möglich.

Ewiges Leben steht für Erlösung;
Ein Geschenk, das alle frommen Vorstellungen sprengt:
Gott ist Liebe.