Zum Reformationstag 2022: Im Anfang war das Gepräch – sermo oder verbum?

Evangelium secundum Johannem. Prologus 1,1-18:

Hieronymus/Vulgata (nach 383):

In principio erat Verbum et Verbum erat apud Deum, et Deus erat Verbum.

… Et Verbum caro factum est et habitavit in nobis.

Zürcher Bibel (2007):

Im Anfang war das Wort, der Logos und der Logos war bei Gott. … Und das Wort, der Logos, wurde Fleisch und wohnte unter uns.

Martin Luther (1545):

Im Anfang war das Wort und das Wort war bey Gott. … Und das Wort ward Fleisch und wonet unter uns.

Der primäre Sinn der Sprache liegt im Mit-teilen, nicht im Benennen. Das Benennen dessen, was ist oder nicht ist, ergibt sich aus dem Ziel des Mitteilens, Wirksamkeit, Klarheit oder Eindeutigkeit herzustellen. Im Anfang war das Gespräch (nicht zwingend chronologisch gemeint), nicht das Wort. Auch deswegen übersetzt Erasmus von Rotterdam (vor 1496 – 1536) vorsichtig – und nur in einigen Varianten des Neuen Testamentes den griechischen Begriff logos (aus dem Prolog des Evangeliums nach Johannes) mit sermo und nicht mit verbum.

Ich versuche, die oben zitierten zwei Verse unter den Bedingungen heutiger Sprache und unter den Bedingungen des anthropologischen Weltverständnisses zu übersetzen:

Grundlage dessen, was ist und was nicht ist, ist dialogischer Struktur und daher (nur) im Gespräch sinn-voll mitteilbar. Dieser grundlegende Sinn wurde durch einen Menschen in Praxis und Gespräch konkret mitteilbar; als konkrete Utopie der Erlösung durch Verhalten und Dialog des Messias Jesus aus Nazaret erfahr- und erzählbar.

Die Mitteilbarkeit der Erlösung (als unerzwingbare und unbegreifbare Grundlage alles Problemlösens), also Erlösung als konkrete Utopie (im religiösen Sprachspiel: Offenbarung) hat die sprachliche Struktur eines Dialoges, nicht eines Dogmas. Dogmen grenzen bestenfalls gegen Fehldeutungen oder Missverständnisse ab; der Dialog will und kann überzeugen.

In der jüdischen JHW-Erfahrung ist GOTT primär kein transzendenter Schöpfergott (der Schöpfungsmythos ist sekundär), sondern JHW steht im dauernden Dialog, in der dauernden Auseinandersetzung mit seinem Volk; es geht um Orientierung und Umkehr im Exodus.

Die lateinische Übersetzung „verbum“ für logos steht in der Gefahr, die dialogische Struktur der Logos-Aussage zu übersehen und in die – situativ notwendige, aber nicht ausreichende – Engführung dogmatischer Aussagen zu führen.

Dies hat der spracherfahrene Humanist Erasmus sicher erkannt und auch deshalb übersetzt er griech. logos mit lat. sermo. Aber Erasmus ist auch vorsichtig, denn er weiß, dass es sich bei der Übersetzung in „verbum“ nicht nur um die Reflexion eines „Kirchenvaters“ im vierten Jahrhundert handelt, sondern auch um den sakrosankten Vulgata-Text, der auf dem späteren Trienter Konzil nochmals als Offenbarungstext fixiert wurde.

Ich vermute, Martin Luther kannte die Übersetzungsvariante bei seiner Arbeit auf der Wartburg, aber sie entsprach weder seiner offenbarungstheologischen Auffassung, noch seiner Frömmigkeitspraxis; er konnte logos nicht mit sermo/Gespräch übersetzen.

Luther war kein Humanist und Erasmus wurde post mortem kirchlicherseits verdammt: seine Schriften wurden auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt. Aber im Zeitalter der Aufklärung unter den Bedingungen des anthropologischen Weltbildes muss und kann über die Übersetzung des Erasmus von Rotterdam nachgedacht und ihr Sinn erkannt werden: „im Anfang war das Gespräch, der Dialog, der Logos.“

Souveränität – ein problematischer Begriff aus vordemokratischer Zeit

Im Kontext der aktuellen Kontroverse im Vereinigten Königreich (UK) bezüglich des „Brexit“ und der nationalistischen Tendenzen in anderen Staaten der Europäischen Union erläutere und kritisiere ich den populistischen Missbrauch des Begriffes „Souveränität“ (des Staates, der Nation, auch des Volkes). Es wird die gefährliche Illusion geschürt, dass die (wiederherzustellende oder zu stabilisierende) Souveränität des einzelnen Staates für das Leben der Menschen in der jeweiligen Gesellschaft Vorteile bringe. Genau das Gegenteil ist im heutigen Europa der Nationalstaaten der Fall! Die Idee der Staatssouveränität (gegenüber anderen Staaten) wird zur Ideologie, die begründen soll, warum und wieso es sinnvoll und nützlich ist, sich „grenzmäßig“ abzuschließen und abzusichern, um die phantasierte Selbstbestimmung zu erhalten.

Selbst das sinnvolle „Gewaltmonopol des Staates“ ist nicht von der vordemokratischen Souveränität (der jeweiligen Herrschaft) abzuleiten, sondern dient allein dem Schutz menschenwürdigen Lebens aller in der Gesellschaft; also der friedlichen und gerechten Konfliktlösung. Auch hat der demokratisch verfasste Staat – für mich die Republik – kein uneingeschränktes Gewaltmonopol, sondern es gilt die unauflösbare Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative.

Hinzu kommen die für alle – Menschen wie Institutionen – gültigen Menschenrechte; mit dem obersten Imperativ, dass die Würde des Menschen (nicht nur der sog. „Staatsbürger“) unantastbar ist.

Artikel 1 (1) des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland sagt unmissverständlich: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Daher ist – um ein extremes Beispiel zu nennen – meiner Überzeugung nach die sog. „Todesstrafe“ (als staatliche Sanktion, selbst als Gerichtsurteil) menschenrechtswidrig; unabhängig von Artikel 102 GG, der sie in der Bundesrepublik Deutschland abschafft. Staaten, in denen die Todesstrafe möglich ist oder sogar praktiziert wird, haben ein Demokratie-Defizit. Die Todesstrafe ist ethisch nicht verantwortbar; auch nicht durch das Notwehrrecht, das ich nur im Rahmen eines individuellen Schutzrechtes diskutieren und problematisieren kann.

Zu den Grundsätzen der Demokratie gehört auch ein parlamentarisch verfasstes Gesetzgebungssystem, das regelmäßige freie Wahlen voraussetzt und die Wirksamkeit populistischer Vorstellungen ausschließt. Volksbefragungen, Volksabstimmungen und auch interessengebundene Bürgerinitiativen sind sinnvolle Ergänzungen unterschiedlich gestalteter Systeme des Parlamentarismus; aber Beratungsabläufe, Kompromissfähigkeit und Kompromissbereitschaft müssen strukturell erhalten bleiben (Mehrheitsentscheidung und Minderheitenschutz).

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, so sagt Artikel 20 (2) des Grundgesetzes. Aber die „Macht des Volkes“ ist in der Demokratie weder grenzenlos noch ungeordnet (Demokratie und Anarchie sind daher streng unterschieden). Daher heißt es im Grundgesetz weiter: „Sie – die Staatsgewalt – wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“. Und nur „wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“, haben „alle Deutschen das Recht zum Widerstand“ – „gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen“. Ich zitiere diese Passagen des Grundgesetzes, um die antipopulistische Orientierung unserer Verfassung zu verdeutlichen.

Menschenrechte und Gewaltenteilung, wie auch die Bereitschaft, Kompromisse zu akzeptieren und das Gemeinwohl über das Einzelinteresse zu stellen (ausgleichende Gerechtigkeit) sind für demokratische Gesellschaften konstitutiv. Der Kompromiss verlangt eine argumentative Vorbereitung, einen kommunikativen Austausch sowie ein akzeptables und akzeptiertes Verfahren.

Unter diesen Bedingungen hat Demokratie – als Gesellschaftsform – keine statische Struktur, sondern ist ein dynamischer Prozess (Demokratisierung), der jede Form von notwendiger Machtausübung begrenzt (vor allem ökonomische Macht); orientiert an Freiheit, Gleichheit (vor dem Gesetz) und Gerechtigkeit. Ohne die Verbindlichkeit zu relativieren, gilt diese Dynamik für die Grundrechte und ihre Entstehungsgeschichte selbst: ich erinnere an die Kontroverse über Artikel 14 und 15 GG im Parlamentarischen Rat (Eigentum und Vergesellschaftung). Es wäre möglich und – meiner Überzeugung nach – sinnvoll gewesen, den Eigentumsbegriff grundsätzlicher zu differenzieren; denn persönliches Eigentum, Eigentum an Produktionsmitteln, Erbe und Finanzkapital sind begrifflich (in Bezug auf ihre Wirkungsweise) zu trennen. Aber dies war (mehrheitlich) nicht gewollt und theoretisch kontrovers (vgl. die kritischen Analysen der Politischen Ökonomie).

Die Dynamik der Demokratisierung kann nur erhalten bleiben, wenn der Grundkonsens an Empathie und Solidarität nicht zerstört wird oder verloren geht. Das bedeutet, dass Probleme und Konflikte gewaltfrei, friedlich gelöst werden (müssen). Die Einsicht in die Vorläufigkeit der jeweiligen Lösungen, und damit die Möglichkeit der Veränderung und Verbesserung darf nicht verloren gehen.

Alle Macht (Staatsgewalt) geht vom Volke aus; dieser Imperativ kann missverstanden und missbraucht werden (die Differenz zwischen Macht und Staatsgewalt beachte ich hier nicht):

(1) wenn die Aussage „wir sind das Volk“ interessenmäßig missbraucht wird;

(2) wenn sich hinter dieser Aussage ideologische Positionen und Vorstellungen verstecken (insbesondere mit dem problematischen Begriff „Volk“ verknüpft), die Kompromisse verhindern oder denunzieren, oder Menschenrechte (insbesondere Minderheitsrechte) außer Kraft zu setzen versuchen;

(3) wenn demokratische Institutionen zerstört oder eingeschränkt werden (z.B. die Pressefreiheit oder das Recht auf umfassende Information).

p.s. Zum Begriff „Souveränität“ als populistischer Kampfbegriff

Nach einem Diktum von Martin Luther kommt es darauf an, den Leuten aufs Maul zu schauen, aber nicht nach dem Munde zu reden – eine Anregung für verständliches und verstehbares Übersetzen. Populisten gebrauchen/missbrauchen sinnvolle Begriffe als „Kampfbegriffe“, um Seriosität vorzutäuschen, wollen aber emotionale Zustimmung erreichen. Das gilt auch für den Begriff „Souveränität“, der historisch (wie möglicherweise juristisch) sinnvoll gebraucht werden kann, aber innerhalb der Demokratie-Theorie unbrauchbar ist. Bei Carl Schmitt zeigt sich die Doppelbödigkeit dieses Begriffes in seiner vordemokratischen/faschistoiden Staatsauffassung.

Grußwort zur Aufstellung einer Gedenksäule zur Erinnerung an die Schöppinger Bürgerinnen und Bürger, die, angeführt von Heinrich Krechting, 1534 als Täufer nach Münster zogen, in das „Neue Jerusalem“, um das endzeitliche Königreich Christi aktiv zu erwarten

(Neufassung vom 08. Oktober 2015)

Meine Damen und Herren,

wie Einige von Ihnen wissen, arbeite ich ehrenamtlich im Archiv des Heimatvereins Metelen und erstelle dort u.a. eine regionalgeschichtliche Bibliothek. Weiterhin bin ich Mitglied im Arbeitskreis „Kulturraum Scopingau“ und habe Anfang dieses Jahres zusammen mit Thomas Flammer das Buch „Beiträge zur Kirchengeschichte des Scopingaus“ herausgegeben. Seit Jahren beschäftige ich mich mit der Gestalt des Hinrich Krechtinck/Heinrich Krechting aus Ihrem Ort Schöppingen und habe sein Leben von ca. 1540 bis 1580 in der Grafschaft Gödens in Ostfriesland in meinem Buch „Die radikale Umkehr des Heinrich Krechting am Schwarzen Brack“ (2013) auch literarisch verarbeitet.

Die Einladung und die Absicht, hier am historischen Rathaus eine Gedenksäule für die Beteiligung Schöppinger Bürger am Täuferreich in Münster aufzustellen, hat mich überrascht und auch verstört. Überrascht bin ich, dass sich heute (2015) politische Gemeinde und Heimatverein auf diese Weise an das Münsteraner Täuferreich erinnern, einer radikalen Variante der Reformation, von Martin Luther bekämpft, mit zahlreichen Vorurteilen belastet und 1535 durch die Söldnertruppen des damaligen Fürstbischofs gewaltsam zerstört. Bis heute erinnern die drei Käfige am Lamberti-Kirchturm in Münster an dieses Ende – als Warnung vor radikaler Reform, vor Aufruhr gegen die Obrigkeit, vor Revolution.

Verstört hat mich diese Einladung, da ich Sorge habe, dass dieses Mahnmal der Erinnerung an „500 Jahre Reformation“ – im übernächsten Jahr – nicht gerecht wird. Ich füge hinzu, diese Sorge hat mir Pfarrer Böcker in einer Vorabklärung unserer Manuskripte zum größten Teil genommen, auch wenn wir im Detail unterschiedliche Einschätzungen des Täuferreiches in Münster haben.

Dabei stören mich nicht kleinere historische Ungenauigkeiten im Einladungstext, sondern ich will der Täuferbewegung als einer radikalen Form der Reformation zu Beginn der Neuzeit gerecht werden und auch der (mennonitischen) Täuferbewegung, die es bis heute weltweit gibt – und die ich zu den christlichen Kirchen zähle.

Dass Sie hier in Schöppingen Heinrich Krechting und seine Familie ins Zentrum der Erinnerung stellen, kann und muss auch bedeuten, dass Sie seine gesamte Lebensgeschichte und die seiner Kinder erinnern: Heinrich Krechting hat sich in einen konsequenten Calvinisten gewandelt, hat 40 Jahre lang bis zu seinem Tod 1580 zwar geschwiegen, aber wurde Kirchenvorsteher der reformierten Kirche in Dykhausen, Landwirt, Stadt- und Hafenplaner in der Grafschaft Gödens – und sein Enkel setzte diese Tradition als Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen fort, ohne seinen Großvater zu verleugnen.

Daher gebe ich zu bedenken;

dass die Zerstörung des Täuferreiches in Münster und die zahlreichen Hinrichtungen der Täuferinnen und Täufer im 16. und 17. Jahrhundert nicht das Ende der radikalen Erneuerung des Christentums und ihrer Kirchen bedeuten. Heinrich Krechting aus Schöppingen, Bruder des hingerichteten Pfarrers Bernd Krechting, hat weitergewirkt und als radikaler Reformator die Neue Stadt Gödens in Ostfriesland am Schwarzen Brack geplant und erbaut – für alle Konfessionen und Religionen, weltoffen und mit Deichen geschützt vor den Stürmen der Nordsee und den Reaktionen der Herrschenden.

Selbstkritisch gegenüber seiner früheren Praxis als Kanzler des Täuferreiches und menschenfreundlich für alle Glaubensflüchtlinge aus dem Reich Karls V., blieb er bis zu seinem Tod am 28. Juni 1580 stumm, aber nicht wirkungslos.

Um nicht missverstanden zu werden, will ich zum Abschluss meines Grußwortes bewertend aus heutiger Sicht verdeutlichen:

Heinrich Krechting war Täter in einer fanatischen Bewegung und als ausgebildeter Jurist ihr Vollstrecker; er erwartete aktiv und gewaltsam das endzeitliche Gottesreich. Er lebte als Täufer in einem Land, in dem auf der Grundlage eines Reichsgesetzes auf den Empfang und das Bekenntnis zur Erwachsenentaufe die Todesstrafe stand.

Krechting überlebte, anders als sein Bruder Bernd, die Eroberung Münsters und löste sich nur langsam von seinen apokalyptischen Hoffnungen, die Wiederkehr Christi stehe bevor.

Zuletzt floh er in die Grafschaft Gödens am Schwarzen Brack (im heutigen Ostfriesland) und wandelte sich in einen gewaltfreien Calvinisten; wahrscheinlich nach intensiven Gesprächen mit Gräfin Hebrich von Gödens und seinem Freund, dem polnischen Reformator Johannes a Lasco aus Emden.

Ich meine, diese Entwicklung, diese Umkehr des Heinrich Krechting aus Schöppingen und seiner Familie, dieses Modell einer Hafenstadt wie Neustadtgödens, in der alle Flüchtlinge frei und gemeinsam leben und arbeiten konnten, sollte beim Nachdenken über dieses Mahnmal nicht vergessen werden.

Auch seine Enkel und Urenkel, Heinrich Krefting und Hermann Wachmann, anerkannte Bürgermeister der freien Hansestadt Bremen, haben diese Erinnerung an ihren Großvater in einer schriftlichen „Nachricht“ festgehalten.