Ein Blick in die Zukunft (Analyse, Prognose, Konsequenzen) – kein ärgerlicher und ärgender Rückblick

Ab 31. Oktober 2020 bin ich frei von allen lokal- und regionalpolitischen Funktionen und allein gebetener und ungebetener Ratgeber; wer will, kann das auf meiner Website (schmitter.sifisu.org) lesen.

Auf der Grundlage meiner Analyse der Ergebnisse der Kommunalwahlen in NRW am 13. September 2020 wage ich eine Prognose für die nächsten Jahre und schlage Konsequenzen für die Arbeit der SPD vor Ort, in der Region und auf Bundesebene vor.

Ich weiß, dass ich mich in der Vergangenheit mit meinen Prognosen (auch) geirrt habe, aber ich weiß auch, dass es der SPD auf Landes- wie Bundesebene bis heute nicht gelungen ist, regierungsfähig zu werden. Das schmälert nicht die Leistungen der SPD-Minister in der CDU/SPD-Koalition unter der Bundeskanzlerin Merkel, aber reduziert die Wirkung für die Zweitstimmen der SPD bei der Bundestagswahl.

Ich bin – wie schon früher (auch schriftlich) geäußert – der Auffassung, dass die Praxis der differenzierten, am Kompromiss orientierten Ausarbeitung von Koalitionsverträgen durch die Spitzen der Parteien, die regieren wollen, nicht zwingend grundgesetzkonform ist. Unser Grundgesetz kennt keine „Koalitionsverträge“, sondern in Zukunft kann es ausreichend sein, dass nach einer Wahl die Parteien (inklusive der dann im Bundestag vertretenen Fraktionen dieser Parteien) eine verbindliche Vereinbarung treffen, eine Bundeskanzlerin/einen Bundeskanzler mit der notwendigen Kanzlermehrheit zu wählen. Diese gewählte Person bestimmt dann (natürlich auf Vorschlag der Koalitionsfraktionen) die Minister ihrer Regierung, die dann vom Bundespräsidenten ernannt werden.

Dieser Vorschlag, ich wiederhole es, stärkt die Arbeit und Verantwortung des Parlamentes (Bundestages). Denn dort werden Kompromisse ausgehandelt und Gesetze beschlossen (natürlich mit der im GG vorgeschriebenen Zustimmung des Bundesrates).

Zurück zur Möglichkeit der SPD, den Bundeskanzler/die Bundeskanzlerin vorzuschlagen und mit der notwendigen Kanzlermehrheit im Bundestag zu wählen. Das traditionelle Modell, die größte Fraktion (einer bisherigen „Volkspartei“) sucht sich einen sog. „Juniorpartner“ hat genau so ausgedient wie die „Notlösung“ einer „Großen Koalition“.

Die Parteien, konkret die SPD, sollte versuchen, rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl, mögliche Kooperationen mit anderen Parteien zu diskutieren, diese Kooperationsangebote in den Parteigremien zu entscheiden und dann zu veröffentlichen, damit die Wählerinnen und Wähler wissen, was sie erwartet und welcher Partei sie (auf Grundlage des Programmes und der Personen) die Priorität geben.

Bisher „ziert“ sich die SPD, solche Kooperationen zu veröffentlichen, und hofft, als Einzelpartei eine ausreichende Mehrheit an Stimmen zu erhalten.

Das ist eine folgenschwere Illusion. Die Wählerinnen und Wähler müssen wissen, welche Kooperationen geplant sind.

Hinzu kommt – und das gilt für alle Wahlen –, dass die Zahl der sog. Stammwähler schrumpft (sie sterben aus, auch wenn sie älter werden – meine eigene Erfahrung). Ich schätze die Zahl heutzutage bei unter 10 %.

Weiterhin nimmt die Zahl der sog. Wechselwähler zu. Sie orientieren sich an wenigen aktuellen Problemlagen und den damit (medienmäßig) verbundenen „Leitpersonen“. Das gilt zunehmend auch für örtliche Kommunalwahlen, selbst wenn dort die Parteizugehörigkeit nicht immer entscheidend ist.

Bevor ich zur Analyse der vorvorgestrigen Kommunalwahl im Münsterland komme, will ich zur Situation auf Bundesebene vorweg sagen, dass ich zur Zeit keine Alternative zur Parteidoppelspitze und zum vorbestimmten Kanzlerkandidaten Olaf Scholz sehe. Die SPD muss zur Bundestagswahl 2021 konsequent an ihrem Personalvorschlag und der jetzigen Parteidoppelspitze festhalten und sie bestätigen; nur dann kann es gelingen, eindeutig über 20 % der Zweitstimmen zu erreichen.

Ich beginne meine Analyse so konkret wie möglich auf der untersten Ebene, dem Stimmbezirk 5 der Gemeinderatswahl Metelen. In diesem Stimmbezirk wurde vor Jahren Angelica Schwall-Düren zum ersten Mal direkt in den Gemeinderat gewählt. Das gelang auch mir (wir wohnten/wohnen im Stimmbezirk auf der Neustraße). Erst bei der Gemeinderatswahl 2014 unterlag ich der CDU-Kandidatin mit weniger als 10 Stimmen (bei Stimmverlusten des UWG-Kandidaten, die wahrscheinlich der CDU nutzten).

Am 13. September 2020 ergab sich im Stimmbezirk 5 der Gemeinde Metelen folgende Situation:

Von 567 Wahlberechtigten gaben 352 Wählerinnen und Wähler (ab 16 Jahren) ihre Stimme ab; das sind 62,08 % der Wahlberechtigten. 11 Stimmen waren ungültig; der CDU-Kandidat erhielt 104 Stimmen; die SPD-Genossin Birsen A. erhielt 97 Stimmen und der Grünen-Kandidat 106 Stimmen; der UWG-Kandidat abgeschlagen 34 Stimmen. Damit war der Kandidat der Grünen mit 2 Stimmen Vorsprung vor dem CDU-Bewerber und 9 Stimmen Vorsprung vor der SPD-Bewerberin direkt in den Gemeinderat gewählt. Bei 10 direkt (mit relativer Mehrheit) zu wählenden Mitgliedern blieb dies das einzige Direktmandat der Grünen; die SPD erhielt (im Stimmbezirk 4) ebenfalls ein Direktmandat mit 109 Stimmen; die anderen 8 Direktmandate gingen an die CDU (Stimmenanzahl von 180 Stimmen bis 109 Stimmen). Da nach unserem Kommunalwahlgesetz diese Stimmen doppelt gezählt werden (zur Verteilung der 20 Ratsmandate nach dem Verhältniswahlrecht), ergibt sich für den neuen Gemeinderat folgende Sitzverteilung: CDU 8 Sitze (180 bis 86 Stimmen je Stimmbezirk); SPD 5 Sitze (113 bis 36 Stimmen); Grüne 4 Sitze (107 bis 25 Stimmen); UWG 3 Sitze.

Für das Ergebnis im Stimmbezirk 5 ist zu bedenken: SPD-Bewerberin und der Grünen-Bewerber wohnen beide im Stimmbezirk; der Grüne ist „Poalbürger“; der Stimmbezirk wurde vor der Wahl nach dem Urteil des Landesverfassungsgerichtes um ca. 60 Wahlberechtigte vergrößert.

Weiterhin ist festzustellen: seit über 10 Jahren haben die Grünen in diesem Stimmbezirk keinerlei Aktivität mehr entwickelt (das gilt auch für die gesamte Gemeinde Metelen), das gilt auch für die bisherige CDU-Ratsfrau, während die SPD (ich als Sachkundiger Bürger im Schulausschuss und (ehemaliger) Vorsitzender des Fördervereins der Offenen Ganztagsgrundschule) vier- bis fünfmal im Jahr unsere Zeitschrift Kiebitz in alle Haushalte verteilt hat und ich vor der Wahl zweimal mit meiner „Nachfolgerin“ alle Straßen unseres Stimmbezirks (mit ihren Haushalten) „heimgesucht“ habe.

Ich erwähne diese Details, um aus diesem speziellen Wahlergebnis folgende Schlussfolgerungen zu ziehen:

(1) Das Engagement von Birsen und mir hat sich gelohnt, denn mit 10 weiteren Stimmen wäre sie direkt gewählt worden. Und in Bezug auf das Verhältniswahlergebnis (mit 97 Stimmen das drittbeste) hat sie dazu beigetragen, dass die SPD-Fraktion nur einen Sitz verloren hat und die CDU ihre absolute Mehrheit im Gemeinderat verloren hat (dabei muss die CDU-Stimme des Bürgermeisters – es gab keinen Gegenkandidaten – mit beachtet werden).

(2) Bei dem Wahlverhalten in diesem besonderen Stimmbezirk in einem Dorf mit 6.500 Einwohnern hat die traditionelle CDU-Bindung (im katholischen Münsterland) kaum noch wahlentscheidende Bedeutung, aber die Verankerung in der Nachbarschaft ist wichtig (und das gilt in diesem Fall sowohl für SPD und Grüne).

(3) Für junge Wählerinnen und Wähler (unter 20 Jahre) und Neubürgerinnen und Neubürger (so meine Vermutung für das Gebiet um ehemals Lohoffs Mühle) ist nicht so sehr die bisherige Leistung in der Kommunalpolitik entscheidend, sondern überregionale, landesweite (durch die Medien in jedes Haus übertragene) Tendenzen und Stimmungen schlagen (neben dem örtlichen Bekanntheitsgrad der Bewerberinnen und Bewerber) durch und beeinflussen das Wahlverhalten. Sonst ist der Wahlerfolg der Grünen (in diesem Fall mit 2 bis 10 Stimmen Mehrheit) m.E. nicht zu erklären.

Soweit meine Überlegungen vor Ort. Nun zur Kreisebene.

Meine (insgeheime) Prognose, dass bei der Landratswahl die Grünen-Kandidatin in die Stichwahl käme, lag eindeutig falsch; sie blieb bei unter 20 %. Und es ist kein Trost (auch für die Grünen nicht!), dass unser Kandidat Matthias (SPD) 0,22% Stimmen weniger erhielt. Aber ich blicke nicht zurück, sondern addiere 18,70 % und 18,92 % zusammen; das ergibt mehr als 35 %! Ein gemeinsamer Kandidat oder eine gemeinsame Kandidatin von SPD und Grünen (und vielleicht noch UWG; von den Linken ganz zu schweigen) wäre zumindest in die Stichwahl gekommen.

Nun ahne ich, wie meine Genossinnen und Genossen aufschreien: Mit diesen (konkreten) Grünen (oder Linken) war eine Kooperation nicht möglich! Geschenkt! Ich blicke in die Zukunft und wiederhole Ergebnisse meiner Analyse:

(1) Stammwählerverhalten stirbt aus (unter 10 % – trotz Ibbenbüren).

(2) Aktuelle bundesweite Themen und Tendenzen schlagen durch; selbst da, wo die Grünen keine Leistungen vorweisen können oder sich in der konkreten politischen Arbeit widersprüchlich verhalten haben.

(3) Nicht direkt parteigebundene Kandidatinnen und Kandidaten, jung und kompetent, haben eine Chance, wenn sie von einem Mehrparteienbündnis unterstützt werden (siehe Bürgermeisterin in Coesfeld, einer ehemals tiefschwarzen Stadt, in der ich über 30 Jahre gearbeitet habe).

Also ziehe ich eine Konsequenz: sowohl vor Ort, wie regional, wie landesweit prognostiziere ich:

Mehrheiten und Direktmandate wird es in Zukunft nur noch in Kooperation zwischen SPD und Grünen (und gegebenenfalls Linken und UWG) geben.

Um Kooperation zu erreichen, muss zu diesem Ziel in den Fraktionen und in Zusammenarbeit mit anderen interessierten Fraktionen ab sofort intensiv gearbeitet werden. Animositäten sind in ihrer Wirksamkeit abzubauen.

Es ist doch ein Witz, dass in der Bundesrepublik zunehmend CDU/CSU und Grüne kooperieren, aber die SPD an der Illusion festhält, die einzige Volkspartei (links von der CDU/CSU) zu sein.

Hinzu kommt, dass wir endlich aus den Veränderungen in unserer Gesellschaft (Zerfall der sog. Mittelschichten, Veränderungen der Arbeitsgesellschaft, Klimaveränderung, weltweite Migrationsbewegungen,

Verschärfung des Gegensatzes von Armut und Reichtum, Gefährdung der Mitbestimmung, der Kompromissfähigkeit und der Sicherung der Grundrechte, auch für Minderheiten in den und durch die parlamentarischen Demokratien, Mangel an Aufklärung und Selbstbestimmung in den bisher relevanten Institutionen wie z.B. Kirchen und Gewerkschaften) lernen und nachhaltige Konsequenzen ziehen.

Metelen an der Vechtefurt

Erinnerte Geschichten eines Durchgangsortes

Ich sitze auf der grob gezimmerten Holzbank an der neuen Fischtreppe, höre die intensiven Fließgeräusche der geteilten Vechte, die sich einerseits durch Ellings Wiese, andererseits durch ihr altes Bett an der Stiftsmühle vorbei bewegt. In den letzten Tagen hatte es durchgehend und intensiv geregnet, so dass sich genügend Wasser in den Baumbergen gesammelt hatte und der Wasserstand mächtig gestiegen war.

Ich schließe die Augen und stelle mir vor, dass sich vor Zeiten Richtung Straßenbrücke das Flussbett so verbreiterte, dass Mensch und Pferdewagen ohne Steinbrücke passieren konnten. Solche Furten waren reisenotwendig, denn Holzstege waren zu schwach und vermoderten mit der Zeit, und Steinbrücken – da fehlten oft kostbares Steinmaterial und konstruktives Wissen.

Das Wort „Furt“ hat es mir angetan und so rufe ich gewohnheitsmäßig „meinen“ GRIMM im Internet auf und finde: ein durchgang für gehende, reitende, fahrende durch ein wasser oder gewässer, vadum, am häufigsten und gewöhnlich versteht man das wort von einem solchen durchgangsorte durch einen flusz. Das Wort Durchgangsort speichere ich und wiederhole mehrfach: „Metelen, ein Durchgangsort“ – zur Erinnerung.

Wenn ich meine Augen wieder öffne, sehe und höre ich die zweigeteilte Vechte, das Quaken der Enten und in der Ferne den Durchgangsverkehr, der zwar die neue Umgehungsstraße meidet, aber das Geschäftesterben im Ort nicht verhindern konnte.

Hinter dem Gebäude der Äbtissin, das zur Zeit durch seine neuen Besitzer von Grund auf renoviert wird und ab 1720 in Tuchfühlung zur älteren Abtei und zur Stiftskirche Ss. Cornelius und Cyprianus errichtet wurde, brechen die Strahlen der Mittagssonne hervor und unwillkürlich schließe ich wieder die Augen. Ich denke an die letzte Äbtissin, die Tante „unserer Droste“, und erinnere die Worte der Dichterin zur Angst der Stiftsdamen vor den durchziehenden Truppen des Christian von Braunschweig im Jahre 1623. In ihrem Epos „Die Schlacht im Lohner Bruch“ heißt es:

Noch hat die Flur kein Feind betreten,
Noch zittert nur die fromme Luft

Vom Klang der Glocke, welche ruft
Die Klosterfrauen zu Gebeten,
Wo dort aus dichter Buchen Kranz
Sich Meteln hebt im Abendglanz.

 Die Furt ist ein Durchgangsort für Freund und Feind. Ich phantasiere: schon römische Legionäre haben, hastig und in Auflösung begriffen, diese Furt durch die Vechte, die sie vidrus fluvius nannten, durchschritten, durchwatet ohne rückzublicken, in der Hoffnung, das rettende Militärlager am Niederrhein zu erreichen.

Der Urwald Germaniens hatte es in sich, nur die fünf Flüsse Rhein, Yssel, Vechte, Ems und Weser gaben Orientierung, da sie sich in die Nordsee öffneten und zumindest mit leichten Booten befahrbar waren. Doch die Boote der Römischen Legion auf der Ems, mit denen die Soldaten, vom Rheindelta und der Nordsee kommend, weit stromaufwärts gerudert waren, brannten, angesteckt von Urwaldpartisanen der hier lebenden germanischen Stämme, denen die relativ schwerfälligen Legionärstruppen wenig entgegensetzen konnten.

Samuel, das war der Spitzname des Beornrad, Erzbischof von Sens in Frankreich und Mitglied des Intellektuellenzirkels Karls des Großen. Bis zu seinem Tod im Jahre 797 blieb er auch Abt des Klosters Echternach in Luxemburg. Dieser Samuel kannte nicht nur seinen Tacitus und seinen Ptolemäus, sondern war vermutlich ein Jahrzehnt vor Liudger von Karl dem Großen zur Missionsarbeit in den sächsischen Gauen zwischen Rhein und Ems beauftragt worden. Daher kannte er die alten römischen Wege durch germania magna nicht nur aus der Literatur, sondern aus seiner Arbeit als Missionar. Er konnte also seinem Kaiser wertvolle Tipps geben, wie der in das Herz der sächsischen Stämme rechts des Rheins und nördlich der Lippe militärisch vordringen konnte.

Vermutlich war Samuel kein Freund der Zwangsmissionierung – und sein Missionsauftrag scheiterte –, aber sicher hat er mehrfach die Vechtefurt durchfahren und vielleicht den Plan geschmiedet, auch hier ein Königsgut mit fränkischen Vasallen anzusiedeln, um diesen Durchgangsort, den schon Ptolemäus von Hörensagen kannte, abzusichern.

Hundert Jahre später wird Arnulf von Kärnten, König des Ostfrankenreiches, ein Ururenkel Karls des Großen und kurzzeitig römischer Kaiser, einer geadelten Frau aus dieser fränkischen Familie mit Pioniergeist mit Namen Friduwi dieses Gut als Frauenkloster zurückschenken und unter seinen Schutz stellen. Damit wird für Jahrhunderte aus dem Durchgangsort eine kaiserliche Freiheit, ein Ort des Gebetes und des Lernens.

Die „Freileins“, wie die Klosterfrauen und späteren Stiftdamen im Wigbold Metelen genannt wurden, konnten nicht nur beten und singen, sie konnten schreiben und lesen – im Gegensatz zu den Männern in ihren Familien –, sie wussten auch ihre Erfahrung und ihr Wissen weiterzugeben; sie gründeten eine Volks- und Lateinschule. So wurden über die Jahrhunderte aus Sachsen gebildete Münsterländer, auch wenn Heinrich Heine im 19. Jahrhundert über die Westfalen – wenn auch mit Sympathie – spottete.

Mein fiktiver Freund Heinrich Krechting, Bürgermeister und Richter in Schöppingen, Kanzler des Täuferreiches in Münster, gewandelter Calvinist und Hafenplaner in der Herrlichkeit Gödens am Schwarzen Brack, ist – wie sein Vater Engelbert – in Metelen zur Schule gegangen und sein Enkel wurde ein gelehrter und berühmter Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen. Dieser Enkel, getauft auf den Vornamen seines Großvaters, hat die Geschichte und Herkunft seiner Familie, auch wenn er sich als calvinistischer Hochschullehrer und republikanischer Bürgermeister als Großstadtmensch zeitgemäß Kreffting nannte, nicht vergessen, sondern dokumentiert.

Auch die katholische Reformbewegung des 17. Jahrhunderts, die nicht ohne Grund „Gegenreformation“ genannt wird, hat Durchgangsreisende geschaffen, die in Metelen zur Schule gingen. Ich denke an den Theologen Hermann Bavinck, der Pfarrer in S. Maria de Anima in Rom und Reiseführer für deutschsprachige Rompilger wurde. Seine Schriften kann man in der Heidelberger Universitätsbibliothek noch heute einsehen, auch wenn er vor Ort vergessen ist.

Noch immer sitze ich an der Fischtreppe der Vechte und denke mir, auch eine Fischtreppe schafft Durchgang, ist eine Furt – und in mir reift der Vorschlag: sollten die gelben Orts- und Hinweisschilder nicht auch ergänzt werden: Metelen an der Vechtefurt?

Die Heimsuchung des Zeichners Matthias Beckmann

Als Mensch, der sich berufsmäßig mit Theorie und Praxis von Lernumgebungen beschäftigt hat, weiß ich um die Bedeutung einer sachgemäßen wie unterstützenden Umgebung für erfolgreiche Lernprozesse. Aber neben der stimulierenden Wirkung kenne ich auch die inszenierte Wirkung eines Kopfarbeiters in seinem Arbeitszimmer, abgebildet in einer Fotografie oder in einer Lithografie. Die entschlüsselbare Symbolik der Selbst- oder Fremddarstellung soll die Bedeutsamkeit des oder der Porträtierten zeigen und verstärken.

Beispielhaft erinnere ich an eine Fotografie von Virchows Arbeitszimmer in der Charité in Berlin: der berühmte Chirurg mit mehr als einem halben Dutzend menschlicher Skelette und zahlreichen Schädeln hinter seinem Arbeitstisch. Oder ich denke an Dürers Kupferstich „Der heilige Hieronymus im Gehäus“ aus dem Jahre 1514 mit dem gutmütigen Löwen und dem schlummernden Hund im Vordergrund. Der Löwe geistert bis heute durch die Literatur. Nicht zu vergessen sind die Holzschnitte des „Büchernarren“ seit dem Mittelalter bis zum „Wol-geschliffenen Narren-Spiegel … hrsg. durch Wahrmund Jocoserius, Nürnberg 1730; in der Nachfolge von Sebastian Brants „Narrenschiff“.

Immer steht im Mittelpunkt der Zeichnung die Person und seine Umgebung; vom heiligen Gelehrten bis zum bibliophilen Narren und zum Pathologen in seinem Panoptikum. Anders verhält sich der Zeichner und Grafiker Matthias Beckmann aus Berlin. Ihn interessiert die Umgebung und das Arbeitszimmer als Ort – der Arbeitsstuhl bleibt leer.

Vermittelt durch ein Stipendium des DA Kunsthauses Gravenhorst im Kreis Steinfurt war Matthias Beckmann in unserer Wohnung in Metelen und hat u.a. mein Arbeitszimmer heimgesucht. Das zeichnerische Ergebnis seiner konzentrierten und auswählenden Beobachtung liegt vor. Ich bin so frech zu behaupten, dass von der Zeichnung auf den Eigner des leeren Arbeitssessels, also mich, rückgeschlossen werden kann und wird. Die einen werden es Chaos nennen, die anderen mögen im Bereich der Kreativität nach einer passenden Bezeichnung suchen. Ich nenne die Bleistift-Zeichenmethode induktiv; sie erlaubt einen Rückschluss vom Arbeitsort auf den dort (nicht) sitzenden Kopfarbeiter.

Zum Schluss meiner Reflexion kann die Praxis der „Heimsuchung“ durch den Künstler Matthias Beckmann aufgeklärt werden: wie bei mir üblich ziehe ich das etymologische Wörterbuch zu Rate: das mittelhochdeutsche Wort heime suochen bedeutet: „in freundlicher oder feindlicher Absicht daheim aufsuchen“ und heimsuochunge meint: “Hausfriedensbruch“. Ich kann die freundliche Absicht bezeugen. Aber eine letzte Frage sei erlaubt: Wie hätte der Löwe reagiert, wenn Matthias Beckmann Hieronymus in seiner Studierstube heimgesucht hätte?