Im Bedenken und Übersetzen (als Versuch) eines urchristlichen Hymnus, den Paulus, der sich wahrscheinlich in Rom im Gefängnis befindet (um das Jahr 59/60 n.Ch.) und der sich als Sklave des Christus Jesus bezeichnet, in seinem Brief an seine Freunde in Philippi (Makedonien), die er als die Heiligen des Christus Jesus kennzeichnet, zitiert (Phil 2, 5-11):
„Dies sinnt bei euch, was auch in Christos Jesus, der, als er in
Gestalt Gottes war, nicht für Raub hielt das Sein gleich Gott,
sondern sich selbst entäußerte, Gestalt eines Sklaven annehmend, in
Gleichheit von Menschen geworden; und im Äußeren erfunden wie ein
Mensch, demütigte er sich selbst, geworden gehorsam bis zum Tod, zum
Tod aber (des) Kreuzes. Deshalb auch erhöhte ihn Gott und schenkte
ihm den Namen, der über jedem Namen (ist), damit im Namen von Jesus
jedes Knie sich beuge, (der) Himmlischen und Irdischen und
Unterirdischen, und jede Zunge bekenne: Herr (ist) Jesus Christos zur
Herrlichkeit Gottes (des) Vaters.“
(Studienübersetzung Münchener Neues Testament, Düsseldorf 1998,
5.A.)
Übersetzung des Urtextes (Koine-Griechisch) ins Deutsche 2007;
Zürcher Bibel:
Niedrigkeit und Erhöhung Christi
Seid so gesinnt, wie es eurem Stand in Christus Jesus entspricht:
Er, der doch von göttlichem Wesen war,
hielt nicht, wie an einer Beute daran fest,
Gott gleich zu sein,
sondern gab es preis
und nahm auf sich das Dasein eines Sklaven,
wurde den Menschen ähnlich,
in seiner Erscheinung wie ein Mensch.
Er erniedrigte sich
und wurde gehorsam bis zum Tod,
bis zum Tod am Kreuz.
Deshalb hat Gott ihn auch über alles erhöht
und ihm den Namen verliehen,
der über allen Namen ist,
damit im Namen Jesu
sich beuge jedes Knie,
all derer, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,
und jede Zunge bekenne,
dass Jesus Christus der Herr ist,
zur Ehre Gottes, des Vaters.
Wer war Paulus von Tarsus (Kilikien; heute südl. Türkei)?
P. war, soweit wir heute wissen, ein griechisch gebildeter jüdischer
Gelehrter, wie (damals üblich) auch ein ausgebildeter Zeltmacher,
Anhänger des messianischen Judentums seiner Zeit, Römischer Bürger,
Kenner der hellenistischen Philosophie seiner Zeit, Bekenner des
Messias Jesus aus Nazaret, Botschafter und erster Theologe des
Urchristentums, das sich „weltweit“ (also im Römischen Reich)
entwickelte.
In diesem Hymnus wird auf sehr spezielle und konkrete Weise die
„Menschwerdung Gottes“ im und durch den „Messias Jesus“ aus
Nazaret verkündet, natürlich unter den Erfahrungen und Bedingungen
eines theozentrischen (wie auch durch das römische Reich geprägten)
Weltbildes.
Mein Problem und meine Frage ist: wie kann die Botschaft des Paulus,
und insbesondere der von ihm zitierte „Hymnus“ sinnvoll
unter den Bedingungen der anthropozentrischen Welterfahrung und den
bewährten Methoden moderner Problemlösung („als wenn es Gott
nicht gäbe“), also im „Zeitalter der Aufklärung und
Wissenschaft“ übersetzt und verstanden werden?
Ich setze voraus (was ich anderswo erläutert habe), dass unter den
Bedingungen der Aufklärung (Kritik jeder Metaphysik,
Religionskritik, Sprachkritik) „Erlösung“ der Welt (als
Grenzerfahrung allen vorläufigen Problemlösens) denkbar und
erfahrbar, aber nicht begreifbar ist. „Erlösung“ ist daher
nur als „Utopie“ beschreibbar.
Ich übersetze den von Paulus zitierten „Kenosis-Hymnus“ in ein
heutiges Sprachspiel. Unsere Sprachen kennen nicht nur „logische“
Sprachspiele, die widerspruchsfrei und begreifbar sind,
sondern auch Sprachspiele, die die Struktur von „Oxymora“ haben
und auf spezielle Weise erfahrbar sind (auch dies habe ich
anderswo erläutert).
Ein erster Versuch:
Erlösung als konkrete Utopie
Ein konkreter Mensch
prophezeit das Ende der Zeit (als kairos nicht chronos),
nicht als mächtiger Herrscher (König oder Kaiser oder Führer),
der das Paradies auf Erden verspricht;
sondern als hingerichteter Verbrecher (in der Sicht und Macht der Mächtigen)
Vertrauen erwartet (ohne es erzwingen zu können oder wollen).
Wer dem Gekreuzigten als „Messias“ vertraut (pistis),
der kann befreit und ohne Zwänge denken und handeln,
der muss sich nicht den herrschenden Gesetzen der Macht anpassen,
sondern kann und muss prüfen, was gut und gerecht ist.
In diesem Sinn ist er befreit und bereit,
Gerechtigkeit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit zu realisieren.
Selbst der Tod hat keine Macht mehr über ihn,
obwohl er als Naturwesen sterblich bleibt.
Zum Verhältnis von Macht und Gewalt, Gebrauch und Missbrauch
Unkontrollierte Macht schlägt in Gewalt um. Gewalt realisiert sich
in Zerstörung und Selbstzerstörung; in Hass und Vernichtung. Der
Gebrauch der Macht kann in Missbrauch umschlagen; das ist der Preis
der Freiheit.
Menschen sind Vernunft- und Naturwesen. Sie sind, wie Hannah Arendt
sagt: sterbliche Schöpfer.
Sie können ihre Macht gebrauchen und missbrauchen. Sie allein sind
verantwortlich für Verbrechen, aber auch für die Durchsetzung der
Menschenwürde und Menschenrechte und die Gestaltung gerechter
gesellschaftlicher Verhältnisse.
Menschen (als Vernunftwesen) haben die dauernde Verpflichtung und
Aufgabe, Menschenwürde für alle und Pflege der Natur durchzusetzen.
Als Vernunftwesen sind sie in der Lage und dafür verantwortlich,
gerechte Lebensverhältnisse zu realisieren und Missbrauch zu
verhindern bzw. einzugrenzen. Menschen sind daher dazu bestimmt (im
Sinne der Selbstbestimmung), Probleme zu erkennen und zu lösen;
Erlösung ist eine (notwendige) Utopie.
Ein zweiter Versuch:
Jesus Christus Erlöser (Erlösung gedacht in einer und
durch eine konkrete Person), diese Botschaft (in Form
einer konkreten Utopie) setzt auf Vertrauen; und dieses Vertrauen
(pistis) verheißt zeitloses Leben (im Sinne des kairos).
Diese konkrete Hoffnung wird existenziell erfahren und ermöglicht,
Probleme in der Dynamik des Vorläufigen zu lösen.
Zwar bleiben alle Lösungswege und Ergebnisse bzw. Entscheidungen an
Endlichkeit und Irrtum des menschlichen Daseins gebunden, aber in der
„Nachfolge Christi“ sind sie weder Zufall noch Schicksal, das in
Vernichtung oder Auflösung endet, sondern ermöglichen Korrektur und
Umkehr.
Zwar wird die Differenz zwischen Erfahrung der Umkehr oder Korrektur
(metanoia) und Erkenntnis des Begriffenen nicht aufgehoben, aber für
die Zeit des irdischen Lebens im Lichte der Zusage des ewigen Lebens
relativiert.
„Ewiges Leben“ (ein Oxymoron höchster Stufe) ist als Synonym für
„Erlösung“ das entscheidende Sprachspiel eines „Christen“;
es beschreibt die existenzielle Erfahrung der Zusage der Erlösung
(als eines Geschenkes, das weder erkauft noch erzwungen werden kann).
Die Macht dieser Zusage gegenüber den Bedingungen begenzten Lebens
(als Naturwesen) kann weder aufgehoben, noch kann diese konkrete
Utopie in menschlicher Sprache „begriffen“ werden. Aber dieses
„Geschenk“ wurde und wird in einer radikalen Form sprachlich
beschrieben, die alle theologischen Vorstellungen „sprengt“: Gott
ist Liebe (theòs agápe estín).
Im ersten Johannesbrief wird der Gottesbegriff (im Lichte der
Messias-Botschaft) entziffert, und die Gottesvorstellungen des
theozentrischen Weltbildes werden so radikal zerlegt, dass diese
Aussage auch für uns heutige Menschen verstehbar und bedeutsam sein
kann: „Gott“ ist ein synsemantischer Ausdruck für konsequente
Menschenliebe. So zumindest übersetze ich das Sprachspiel der
„johanneischen Schule“.
p.s.
Diese Reflexion bleibt grenzwertig, da ich nicht ausreichend geklärt
habe, wie das Verhältnis von begreifenden Sprachspielen und
Sprachspielen, die existenzielle Erfahrungen beschreiben, sinnvoll zu
klären ist. Aber dieses spezifische Verhältnis versuche ich in der
„Formel“ von der Dynamik des Vorläufigen auszusprechen.
Zusammenfassende Übersetzung:
Erlösung in der Dynamik des Vorläufigen
„Jesus Christus Erlöser“ –
diese Botschaft setzt auf Vertrauen
und verheißt zeitloses Leben.
In der Dynamik des Vorläufigen
können Probleme gelöst werden;
gebunden an Irrtum und Endlichkeit.
In der Nachfolge Christi
herrscht weder Zufall noch Schicksal;
sondern Korrektur und Umkehr sind möglich.
Ewiges Leben steht für Erlösung;
Ein Geschenk, das alle frommen Vorstellungen sprengt:
Gott ist Liebe.