Religion hat keine Wahrheit, die allgemein begreifbar ist (im Sinne aussagenlogisch geprüfter und sprachkritisch bewährter Begriffe und Sprachspiele). Der Sinn des Religiösen (als Rückbindung), insbesondere der religiösen Sprache, ist weltbildgebunden. Der Sinn der Rede von GOTT ist in einem theozentrischen Weltbild verstehbar. Demgegenüber ist im anthropozentrischen Weltverständnis die „Rede von GOTT“ einzig als synsemantischer Ausdruck bestimmbar und übersetzbar. Sie verweist auf die Utopie von der „Erlösung der Welt“ und der auf ihr heute und zukünftig lebenden wie bisher gestorbenen Menschen. Diese Utopie ist – als konkrete Utopie – existenziell – erfahrbar und in Oxymora beschreibbar bzw. erzählbar.
Religiöse Denkformen sind an das theozentrische Weltbild gebunden; zumindest in den sog. „monotheistischen“ Religionen. Im Zentrum jüdisch/christlicher Religionsvorstellungen stehen die Exodus-Erzählung und die Messias-Erwartung. Dieses messianische Denken ist – so meine These – in ein anthropozentrisches Weltbild und die zugehörige aufgeklärte Sprache übersetzbar. In einer „Welt ohne Gott“ ist Erlösung denk- und erfahrbar, wenn auch – im sprachkritischen und aussagenlogischen Sinn – nicht begreifbar.
Aufgeklärtes Denken, das die Stadien der Erkenntniskritik (Kritik der Metaphysik, der Religion und der Sprache) durchlaufen hat und durchläuft, ist vorläufig, nicht endgültig. Denn die Struktur des Vorläufigen ist dynamisch, da sich Erfahrung bzw. Erwartung und Erkenntnis unterscheiden, auch wenn sie aufeinander bezogen sind. Diese Differenz/dieser Bezug ist beschreibbar/erzählbar und als Utopie konkret erfahrbar. Diese Differenz, diesen Bezug zu leugnen, ist ein Rückfall in die ideologische (und damit reduktive) Position des Materialismus oder Naturalismus. Die Vorgabe und Struktur des Denkens und Handelns „als wenn es Gott nicht gäbe“ nenne ich den methodischen Atheismus und unterscheide ihn konsequent von Ideologien, die instrumentalisieren und/oder legitimieren.
p.s.
Damit kritisiere und ergänze ich die Aussagen von Siegfried J. Schmidt in seinem Buch: Die Endgültigkeit der Vorläufigkeit. Prozessualität als Argumentationsstrategie, Weilerswist 2010, und verweise auf Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung, München 1951/1968, und Roger Schutz: Dynamik des Vorläufigen (Dynamique de provisoire, 1965), Gütersloh 1967; sowie: Jüdisches Denken in einer Welt ohne Gott, Festschrift für Stéphane Mosès, Berlin 2000. Zu meinen metatheoretischen und wissenschaftsdidaktischen Überlegungen siehe: Die Vorläufigkeit theoretischer Arbeit. Zum Verhältnis von Wissenschaftskritik und Hochschuldidaktik, Osnabrück 1980 (Diss.).
Ausführlich erläutert habe ich meine Überzeugung in meinem 2017 erschienen „Vademecum für aufgeklärte Christen und nachdenkende Atheisten. Ein Taschenwörterbuch“ (Münster in Westf.) und neuestens argumentativ zusammengefasst in meinem (noch unveröffentlichten) Manuskript: „Was bedeutet strukturell Erlösung in einer Welt ohne Gott? (Über die Differenz zwischen Chronos und Kairos im messianisch-apokalyptischen Denken und die Konsequenzen in einem anthropozentrischen Weltverständnis: methodischer Atheismus und die Utopie der Erlösung), Metelen (März 2018, 35 S.).
Vgl. zur Gesamtproblematik das Stichwort „Messianismus“ I und II von Ton Veerkamp und Hans-Ernst Schiller in Band 9/I (Maschinerie bis Mitbestimmung) des Historisch-kritischen Wörterbuchs des Marxismus (HKWM), Hamburg 2018 (Sp. 657-682) und speziell im selben Band das Stichwort „materialistische Bibellektüre“ von Kuno Füssel (Sp. 252-266).