Aufklärung und Messianismus: Erlösung denken

Ostern 2025

In Erinnerung an Hermann Cohen (1842 – 1918), Kenner der Philosophie des Immanuel Kant, der Aufklärung und des prophetischen Messianismus

Straßeninterviews sind zumeist unpräzise, Fragen wie Antworten, so dass ich gereizt reagiere und mit einer Gegenfrage antworte. Oft werden Bekenntnisse erwartet. Ich stelle im folgenden ein Sortiment meiner Antworten zusammen.

Auf die Frage, ob ich ein Christ bin, antworte ich mit JA.

Auf die Frage, ob ich an Gott glaube, stelle ich die Gegenfrage, wer oder was gemeint sei, oder antworte provokativ: NEIN und JA. Und füge hinzu: ja im messianischen Sinn.

Auf die Frage, ob ich Mitglied einer christlichen Kirche bin und bleibe, antworte ich als deutscher Staatsbürger mit JA und stelle die Gegenfrage: bezahlend oder praktizierend oder überzeugt?

Auf die Frage, ob ich ein Atheist bin, antworte ich mit JA und NEIN. Ich bezeichne mich als „methodischen Atheisten“, nicht als Weltanschauungs-Atheisten – und verweise auf meine letzte Veröffentlichung „Nachdenken aus der Peripherie im Anthropozän. Überlegungen zur Anthropologie der Aufklärung“, Münster 2023.

Zur Klärung des Sortimentes meiner Antworten ergänze ich noch, dass ich mich als einen aufgeklärten, mündigen Menschen verstehe und beruflich in Philosophie und Theologie ausgebildet bin. Damit ist die Grenze des Interviews überschritten.

Als beruflich ausgebildeter Philosoph und – im Sinne Kants – als ein mündiger Mensch versuche ich in meinen Schriften, das Projekt der Aufklärung zu Ende zu denken; oder in meinem Sprachspiel: Erlösung als – konkrete – Utopie zu denken.

In Erinnerung an das Alterswerk des Neukantianers Hermann Cohen (vor dem Ersten Weltkrieg) verknüpfe ich Aufklärung mit dem messianischen Denken der Propheten der hebräischen Bibel. Der jüdische Monotheismus verbietet es, sich von Gott ein Bild zu machen (im Sinne eines Abbildes). Jede Theorie wie Praxis des Abbildens Jahwes, wie auch das Anbeten eines Bildes, sind Götzendienst. Die Differenz zwischen Abbild und Ebenbild ist für meine Überlegungen bedeutsam.

Der homo sapiens ist kein Geschöpf, sondern ein „einzigartiger“ Schöpfer – das „Ebenbild Gottes“ –,wenn auch sterblich – ein naturgebundenes Lebewesen auf dem Planeten Erde.

Der Mensch ist (im Sinne der Philosophie) vernunftbegabt; oder in meinen Worten: er entwickelt ein menschliches Bewusstsein in verschiedenen Denkformen:

(1) das begreifende Denken, das auf unterschiedliche Weise Wahrnehmen voraussetzt und in logischer Sprache (inklusive der Mathematik) fixiert;

(2) das poetische Denken, Ausdenken im Sinne der Phantasie und Umsetzen in erzählende Sprache oder in Artefakte (bildende Künste)

(3) das utopische Denken: Erlösung denken – in religiösen/utopischen Sprachspielen.

Die Resultate des Wissens (aus 1) wie auch die Produkte der Poesie (der bildenden Kunst) (aus 2) sind seit Beginn der Geschichte der Menschheit gesammelt und zur Aufbewahrung wie Optimierung ausgelagert worden (im Sinne der Künstlichen Intelligenz): als Bild, Text, Buch, Bibliothek, Maschine, Internet und Automat. Auch der Automat – als selbst steuernde Maschine – stellt eine Optimierung des menschlichen Bewusstseins dar. Demgegenüber ist ein Roboter eine bloße Imitation (Spielerei und/oder verantwortungslose Manipulation).

Denkform 1 und 2 können unter dem Ziel, Probleme – vorläufig – zu lösen, zusammengefasst werden; Denkform 3 ist nur jenseits von Raum und Zeit erfahrbar; Stichworte: Augenblick, Ewigkeit. Diese Erfahrung kann als konkrete Utopie der Erlösung (Messiaserwartung) beschrieben und bezeugt werden.

Die Sprachspiele der Denkform 3 können in anthropomorphe Projektionen zurückfallen und unterliegen dann der Religionskritik; aber sie verheißen auch – in menschlicher, vorläufiger Sprache Erlösung und befreien die Menschen. Das Sprachspiel der hebräischen Bibel: der Mensch als EBENBILD JAHWEs.

Ich unterscheide streng zwischen Götzendienst und Gottesdienst und spreche daher kritisch von „Gottesgeplapper“. Mein Leitspruch ist dem Römerbrief entnommen: „Euer Leben sei ein vernünftiger Gottesdienst (latreia logike)“. Autor ist der griechisch sprechende, philosophisch gebildete, exiljüdische Schriftgelehrte Paulus aus Tarsus in Kleinasien, dessen Reform des Judentums seiner Zeit im Sinne der prophetischen Messiaserwartung der hebräischen Bibel in Christus/Jesus aus Nazaret scheitert.