In der aktuellen Medienlandschaft wird die neue Dimension der Herstellung und des Gebrauchs Künstlicher Intelligenz (KI/AI) als Kampf und Gefahr problematisiert. Ich verweise auf zwei Spiegel-Artikel: „Wie der Hype um KI einen globalen Machtkampf ausgelöst hat“ (Der Spiegel 10/2023) und „Diese sechs Dinge braucht man, um eine KI zu bauen“ (ebd. www.spiegel.de/netzwelt). Die Autoren sprechen in diesen Artikeln vom „Weltgeist aus der Maschine“ und ich zitiere: „Doch KI ist alles andere als Spielerei. Es geht um Macht und Milliarden. Ein globaler Kampf ist entbrannt.“
Es geht also (auch) um die Durchsetzung ökonomischer Interessen bei der Herstellung und beim Verkauf „handlicher“ Instrumente zum präzisen Erkennen und zur Kontrolle menschlichen Verhaltens. Wiedererkennungs-, Täuschungs-, Simulations- und Imitationsverfahren sind heute so präzise und zeitgleich, dass der einzelne Mensch – wie auch Institutionen – nicht mehr unterscheiden können, ob Bewusstseinsleistungen oder Computerleistungen vorliegen. Totale Kontrolle wie kaum überprüfbarer Missbrauch – bei hohem Energieverbrauch und Einsatz krimineller Energie – sind gegeben.
Das ist unstrittig. Dennoch frage ich mich, wieso ein als menschlicher Kopf modellierter Roboter, der seine Umwelt weit präziser wahrmimmt, als das die menschlichen Sinnesorgane je können, und der mit seiner Umwelt kommuniziert, solche Erregung und solchen Schrecken auslöst?
Ich vermute, weil wir Menschen vor der Wirkung eines Kleincomputers in der Gestalt eines menschlichen Kopfes (inklusive Gehirn) erschrecken. Diese Wirkung ist verständlich und lächerlich zugleich; verständlich, weil wir einen „homunculus“ erblicken – und die Wirkungsgeschichte des künstlich konstruierten Menschen wie auch des gestorbenen „Wiedergängers“ ist eine alte Geschichte, eine „Gruselgeschichte“; diese Wirkung ist zugleich lächerlich, weil ein Roboter ein auf menschliches Aussehen und Verhalten zugeschnittener Automat ist, der auf Basis wissenschatlicher Forschung und Erkenntnis bestimmte Möglichkeiten des menschlichen Bewusstseins – seiner Sinnesorgane und seiner Fähigkeit zu Sprache und Kommunikation – übertrifft. Über das Verhältnis von Automat (als intelligenter Maschine) und menschlichen Bewusstsein ist Endgültiges nicht ausgesagt, außer, dass einerseits Automaten bestimmte Möglichkeiten des Menschen (sein Erinnerungsvermögen, sein begreifendes und reprouzierbares Erkennen und Wissen) um ein Vielfaches präziser und – bei ausreichender Energiezufuhr – schneller kombinieren und reproduzieren können;und dass andererseits – unter den Bedingungen der KI im Anthropozän – der homo sapiens ein homo praestans ist; anders formuliert: am Ende des Anthropozän sind die Menschen für ihr Denken und Handeln allein verantwortlich. Dies schließt nicht aus, dass sie selbstverschuldet unmündig bleiben und schließt ein, dass sie. ihre Mündigkeit, ihre Verantwortung missbrauchen; also verantwortungslos, verbrecherisch denken und handeln.
Ich unterstelle dass die mediale Diskussion über künstliche Intelligenz anhand von Robotern im Sinne von homunculi eine ablenkende, auch Angst (oder Zuneigung) auslösende, wenn auch gefährliche Spielerei ist. Sie lenkt von den entscheidenden Leistungen wie Gefahren heutiger Problem-Lösungs-Automaten ab.
Heute, am Ende des Anthropozän, ist es möglich und vielfach realisiert, unterschiedliche Produkte von der Planung bis zum Endprodukt „fehlerfrei und automatisch“ herzustellen. Ich nenne als Beispiele den Backautomaten, den PKW oder Waffen aller Art. Die automatisierte Herstellung von Produkten aller Art stellt eine neue Form der industriellen Produktionsweise dar, die ohne den Gebrauch der Künstlichen Intelligenz nicht möglich wäre. Diese Produktionsweise übertrifft in Qualität, Fehlerkontrolle und Quantität alle bisherigen handwerklichen Arbeitsweisen. Sie stellt eine (in meinem Sprachgebrauch) gelungene „Auslagerung“ der Möglichkeiten (Potenzen) des menschlichen Bewusstseins dar.
Weiterhin stellt die Auslagerung der Erkenntnis- und Erinnerungsfähigkeit des menschlichen Bewusstseins einen entscheidenden Maßstab für den wissenschaftlichen Fortschritt der Menschheit dar. Dieser geschichtliche Prozess – nicht zu verwechseln mit der Naturgeschichte des homo sapiens – beginnt mit der Kommunikation (Sprache) und der Sicherung des Wissens durch das Buch und endet mit den Möglichkeiten des Rückgriffs und der Verarbeitung in weltweiten Informationssystemen. Der heutige wissenschaftliche Fortschritt ist ohne die Möglichkeiten der KI nicht mehr denkbar und praktisch umsetzbar (research & development). Die Menschheit hat gelernt – wenn auch in unterschiedlichem Maße in entstandenen wie vergangenen Gesellschaftsformationen und Produktionsweisen –, die Summe des erkannten Wissens zu reproduzieren und in Problemlösungen umzusetzen.
Diese Entwicklung entmachtet den Menschen nicht, wenn er seine Verantwortung und Kontrolle sachgemäß umsetzt. Das Problem der gelingenden Machtkontrolle – beim erfolgreichen Lösen von Problemen – ist bis heute nur unzureichend gelöst. Beispielhaft nenne ich, dass nur 30% der derzeitigen Weltbevölkerung in Demokratien leben, also zumindest durch freie Wahlen politische Machtkontrolle ausüben können.
Der homo sapiens im Anthropozän ist zum homo praestans geworden. Für mich ist diese Aussage eine notwendige Konsequenz aus dem in Europa im 18. Jahrhundert begonnenen Prozess der Aufklärung, der seine Wurzeln schon in der Renaissance und noch früher im jüdisch-christlichen Messianismus hat.
Der Prozess der Aufklärung ist – so mein heutiger Befund –, bedingt durch so unterschiedliche Bewegungen wie die Romantik, den Naturalismus und den „postmodernen“ Konstruktivismus abgebrochen worden. Hinzu kamen antiaufklärerische, dogmatische Positionen des römischen Katholizismus. Mein Vorschlag ist, unter den Bedingungen der anthropozentrischen Weltauffassung (im Sinne der Hannah Arendt, dass die Menschen die „sterblichen Schöpfer ihrer Umwelt“ sind), ausgehend von einer aufgeklärten, realistischen Wissenschaftstheorie, eine verbindliche, universale Ethik zu entwickeln, deren Grundkategorien Mündigkeit, Menschenwürde und Empathie sind.
Auf dieser kategorialen Grundlage können und müssen die Menschen für ihr Denken und Handeln „einstehen“ (homo praestans). Ihre, unsere Verantwortung ist universal, aber bleibt an ihre Natur als sterbliche Lebewesen auf dem Planeten Erde rückgebunden. Aus dieser Einsicht folgert Hannah Arendt, dass die Welt „im Sein gehalten“ werden muss; daher muss die Welt kontinuierlich „eingerenkt“ werden. Das ist keine apokalyptische Endzeitprognose, sondern eine realistische Verpflichtung. Die Menschen stehen vor der (grundsätzlichen, da kategorialen) Aufgabe, sich vor Verantwortungslosigkeit und Verbrechen gegen Mitmenschen und Umwelt zu schützen und eine mögliche Selbstzerstörung zu verhindern (denn eine „atomare“ oder „biologische“ Vernichtung der Menschheit ist möglich).
Ich kehre zu meiner Anfangsüberlegung zurück: angesichts des „radikalen Universalismus“ als Konsequenz eines weltweiten Aufklärungsprozesses (ich benutze einen Begriff von Omri Boehm aus seinem gleichnamigen Buch, Berlin 2022/Original auf Englisch) sind die Ängste oder die Bewunderung vor dem Homunkulus-Roboter eine lächerliche Spielerei, durch die die Notwendigkeit der Kontrolle der heutigen Computer-Systeme überdeckt, überspielt wird.
Was die Intelligenz eines Roboters bestenfalls und unstrittig dokumentiert, ist, dass die Wahrnehmung des menschlichen Bewusstseins (durch seine Sinnesorgane) und seine Steuerungsfunktion künstlich optimierbar werden. Aber die Frage, das Problem der Verantwortung wie auch die Umsetzung der Kreativität (der schöpferischen Kräfte) für Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde bleiben erhalten. Diese universale Verpflichtung spiegelt sich in der zeit- und ortlos erfahrbaren Utopie der Erlösung.