Vor mir liegt ein Cartoon, in dem die Kassiererin an der Theke den Kunden fragt, ob er Punkte sammelt, und der Kunde antwortet mit einer Gegenfrage: Haben Sie auch Kommas? Ich habe diesen Cartoon an Freunde und Familie verschickt mit folgendem Kommentar:
Meine Frage wäre: Haben Sie auch Semikola?
Mit dieser Zusatzfrage wird das ganze Dilemma unserer deutschen Sprache offensichtlich: nicht nur die Pluralbildung ist unser Problem (insbesondere bei Lehnwörtern aus dem Lateinischen oder Griechischen), sondern auch die Mehrdeutigkeit unserer Sprache.
Bevor ich diese Dilemmata aufzulösen beginne und durch meine mäandernde Denkweise eher verschärfe; (!) also bevor ich chaotisiere (dabei beharrt B. sicherlich darauf, dass der DUDEN eindeutige Regeln kennt, die ich aus Trotz nur ignorierte; (!) nämlich, dass ein Semikolon nur gesetzt würde, wenn ein weiterer Hauptsatz folgt, während ich auf Goethe, Schiller und Kleist verweise, die noch keinen DUDEN und dessen vorgebliche Verbindlichkeit kannten), bekenne ich, dass ich das Semikolon, den Strichpunkt seit langem liebe (B. kann beim Korrekturlesen meiner Texte ein „Lied davon singen“); (!) ja, ich versteige mich zu der Behauptung: „Das Semikolon ist mir ans Herz gewachsen.“ Warum?
Zunächst einmal – aus Tradition. Seit langem liebe ich die verschachtelten Sätze; sie entsprechen meinen mäandernden Gedankengängen und meiner philosophischen Vorstellung, dass alles mit allem zusammenhängt, und eine Differenzierung keine Trennung bedeuten muss. Der Punkt ist für mich ein Schlusspunkt; im Wortsinn, er schließt den Gedankengang ab; danach bleiben nur Luft oder Leere.
Demgegenüber dient das Komma nur zum Luftholen beim Vorlesen. Es ist für mich kein Satzzeichen, sondern ein Sprechzeichen. Und nun werden die grammatikalischen Regeln butterweich: die Schrift- und Lesekultur der Mönche konnte auf Kommata und Wörtertrennung fast ganz verzichten; die große und dekorierte Initiale am Anfang eines Abschnittes reichte aus.
Weiterhin – aus Einsicht. Mein üblicher Blick ins Etymologische Wörterbuch informiert im Detail:
Semikolon – Strichpunkt, Ende des 15. Jahrhunderts von A. Manutius eingeführt, von Schottel (1663) mit Strichpünctlein übersetzt. Zu lateinisch colon, griechisch kolon „Abschnitt einer Satzperiode“, eigentlich „Glied eines Tieres oder Menschen, besonders Bein“; vgl. nhd Kolon „Doppelpunkt“, anfangs Colon (16.Jahrh.).
Jetzt ist meine Neugierde geweckt; das GRIMMsche Wörterbuch wird zu Rate gezogen und läßt mich nicht im Stich: unter „strichpunkt, strichpünktlein“ heißt es:
„deutsche bezeichnung für semikolon“; und STEINHÖWEL wird zitiert, der 1473 „ein semikolonähnliches gebilde beschreibt“: „ ain sollich pünctlin oder túpflin mit ainem besicz gezognen strychlin also“.
Und auch SCHOTTEL in seiner „sprachlehre“ von 1641 wird zitiert:“ das strichpünctlein (als kompositum) hat seine benahmung, weil es von einem striche und einem pùnctleine oder tippel gemacht wird“.
Aber hilft mir der sprachgeschichtliche Rückblick meines „Strichpünktleins“ in der Frage weiter, warum ich mit Lust und Leidenschaft das Semikolon heute gebrauche?
Ich fasse zusammen: wenn schon der Bandwurm „Sprache“ als „Schreibe“ gegliedert werden muss, um den argumentativen Zusammenhang zu verdeutlichen, dann ist es wie mit dem Gegensatz von „sinnvoll“ und „unsinnig“; dazwischen gibt es ein „schwachsinnig“ – und dies im wörtlichen Sinn.
Denn der „Sinn“ einer Sache muss überall aufgespürt werden, wo er sich befindet. Und der Sinn zeigt sich nicht immer offensichtlich und von vorne herein.
So ist es auch mit dem Verhältnis von Punkt und Komma; das Strichpünktlein stellt ein Zwischenglied dar, das trennt und verbindet zugleich. Daher lobe ich das Semikolon und schätze seinen Gebrauch.