Grillasch (Grillage)

Krefeld/Metelen, 14./16. April 2016 (16 Uhr Café Heinemann, Hochstr.)

In Erinnerung an meine Mutter, eine Ur-Krefelderin

Ich sitze – in Erinnerung an meine Eltern (regelmäßige Café-Heinemann.Besucher; speziell meine Mutter, entweder mit ihren Freundinnen oder meinem Vater im Schlepptau) – in diesem Café, habe mir einen Tisch mit Rundblick ausgesucht und bestelle mir bei der „Bedienung“ – jüngere Frauen mit leicht Krefelder Akzent und weißer Schürze, auch wenn sie mir im Gespräch gesteht, aus Mönchengladbach zu sein, also ich bestelle mir – neben dem üblichen „Latte“ und der Flasche Mineralwasser – ein Stück „Grillasch-Torte“; eine Krefelder/Niederrheinische Spezialität.

Grillagetorte deswegen, damit mir der spezielle Geschmack dieser gefrorenen, süßlichen, mit Schokoladensplitter durchsetzten Torte die Erinnerung an die ersten 18 Jahre meines Lebens in Krefeld verstärkt.

Und ich höre Gesprächsfetzen einer älteren Frauengruppe am Nebentisch:
Gebärmutter, Eierstöcke – stationär oder in der Praxis; typisches Gerede beim Kaffee. Der Krefelder/die Krefelderin wissen endlos über Krankheiten und Operationen, zumeist anderer, zu erzählen – Hans-Dieter Hüsch (das Schwarze Schaf vom Niederrhein) und meine Mutter lassen grüßen.

Ich bin für einen Tag an den Niederrhein, in meine Geburtsstadt Krefeld zurückgekehrt. Und werde nie die Episode mit meiner Mutter im Café vergessen: es muss 1980 gewesen sein. Ich saß mit meinen Eltern im damaligen Café Sinn auf der ersten Etage; es war am Nachmittag brechenvoll. Wir hatten zielsicher doch noch einen Tisch gefunden. Ich (1943 geboren, Einzelkind, overprotected) wurde von meiner Mutter so plaziert, dass ich ihren Persianermantel (oder wars schon der Nerz) an der Garderobe ständig „im Auge“ hatte, um einen möglichen Diebstahl – oder sei es nur eine Verwechslung – zu verhindern – sonst hätte sie ihren kostbaren Mantel, der im Sommer wohlverpackt im Kleiderschrank hing und nach Mottenkugeln roch – denn die Motten waren nach den Dieben die zweite Bedrohung, sonst hätte sie ihre Kostbarkeit auch im vollbesetzten, dampfenden Café nicht ausgezogen.

Plötzlich entdeckte meine Mutter Clementine eine Freundin auf der anderen Seite der Tischreihen, sprang auf, fuchtelte aufgeregt mit den Armen, so dass die Freundin aufmerksam wurde, und rief quer durch den Raum: „Niere raus, Promotion gut!“

Ich erbleichte und errötete zugleich. Noch heute spüre ich die Veränderung meiner Gesichtshaut. Aber die Freundin hatte verstanden, wie sie durch ein leichtes Kopfnicken andeutete und steuerte auf unseren Tisch zu, DieTischnachbarn horchten kurz auf, der Inhalt schien sie nicht weiter zu irritieren – und die Gesprächskulisse setzte sich fort.

So sind sie, die Krefelderinnen, so erinnere ich meine Mutter – und kann die Wahrnehmung von Hans-Dieter Hüsch nur bestätigen. Der Informationsgehalt der Botschaft meiner Mutter ist nur noch von marginalem Interesse: Meine Tante war zunächst erfolgreich operiert worden und ich hatte mein Doktorexamen erfolgreich abgeschlossen.

Ich bin für einen Tag und eine Nacht zu einem Klassentreffen nach Krefeld zurückgekehrt und am nächsten Tag wieder ins Münsterland zurückgefahren.

P.S. Der Abrechnungszettel des Cafés Heinemann druckt den Namen der Torte korrekt: Grillage Torte. Aber ich bin sicher: kaum ein Krefelder kennt die korrekte Schreibweise; denn wer Grillaasch sagt, der schreibt auch Grillasch.
Da es sich bei diesen Episoden um Weiter-zu-Erzählendes handelt, bestand eine Freundin darauf: Grillage-Tochte(pardon:)Torte gäbe es auch in Bochum (Ruhrgebiet). Wohin die Niederrheiner überall ausgewandert sind! Und ein letztes Wort: Wikipedia kennt Fundorte für Grillage in Böhmen und Bayern schon im 19. Jahrhundert. Und hätte ich meiner Mutter gesagt: laut Internet wird Grillage auch Havanna-Torte genannt, hätte sie geantwortet: „Junge, Du spinnst!“ – trotz Promotion.