In-der-Welt-Sein ist immer auch In-der-Zeit-Sein. Kosmos (mundus) und Chronos entsprechen einander.
Ob die Welt einen Anfang oder ein Ende hat, ist als chronologische Frage bis heute nicht eindeutig gelöst und vielleicht nicht zu lösen. Ich unterstelle, der Kosmos ist endlos und hat deswegen auch keinen Anfang; also der kosmos ist anfangslos und endlos – chronologisch gesehen. Demgegenüber ist unser Planet Erde in unserem Sonnensystem mit allem organischen Leben endlich; hat also – in dieser Form – einen Anfang und ein Ende.
Alle Lebewesen auf dieser Erde sind sterblich, aber in der Lage, sich (ihre Art) zu reproduzieren. Der Mensch ist ebenfalls in der Lage, sich (seine Art) zu reproduzieren, sowohl genetisch, wie auch durch Entwicklung künstlicher Intelligenz. Der Mensch ist als Individuum nicht nur sterblich, er ist sich seines Sterbens bewusst. Zugleich weiß er, dass seine Gattung weiterlebt und unter bestimmten Bedingungen selbst gesteuert weiterleben kann. Er weiß um seine Geschichte, seine Herkunft und Zukunft. Und der Mensch hat die Möglichkeit, Ewigkeit zu denken (nicht missverständlicherweise als Endlosigkeit), sondern als Kairos, als Erfahrung des geglückten/glücklichen Augenblick (in Mystik, als Schweigen), jenseits chronologischer Erwartungen.
Diese Erfahrungen bleiben im endlichen Leben immer vorläufig; die Erlösung als Aufhebung von individuellem Tod und Vergänglichkeit ist eine Utopie. In einem nachmetaphysischen Weltverständnis (in einer „Welt ohne Gott“) ist die Hoffnung auf Erlösung nicht sinnlos, sondern als Utopie denkbar und in konkreten Utopien erzählbar (wenn auch grundsätzlich in der Form von Oxymora).
Daher bedarf es für ein aufgeklärtes Weltverständnis der Übersetzung religiöser Sprache und Sprachspiele. Wenn wir heutigen Menschen, zumindest in unserer Gesellschaftsformation, denken und handeln – in Wissenschaft wie im Alltag – „als wenn es Gott oder Götter nicht gäbe“, also wenn wir in Theorie und Praxis „methodische Atheisten“ sind, dann darf die notwendige Übersetzung religiöser Sprache (und Weltbilder) kein Rückfall in theozentrische Weltvorstellungen (und entsprechende Sprache) sein.
Religion verschwindet nicht aus der Gesellschaft; insofern ist die Behauptung (im Sinne einer geschichtsphilosophischen Konzeption), dass Religion (auf Dauer) verschwindet, gegenüber der gesellschaftlichen Wirklichkeit, in der wir leben, inadäquat. Hans Joas kritisiert daher zu Recht die zugrunde liegende geschichtsphilosophische (ins soziologische gewendete) Vorstellung der „Entzauberung“ in der modernen Welt, wie sie von Max Weber konzipiert wurde.
Religion verschwindet nicht, wie eine vulgäre Vorstellung geschichtlicher Entwicklung moderner Gesellschaften unterstellt und oftmals prophezeit hat, aber das entbindet eine kritische Theorie der Gesellschaft nicht, die Funktion der Religion im allgemeinen und des Christentums im besonderen zu analysieren, denn die Grundsätze der Aufklärung, ihre Metaphysik- und Religionskritik, sowie die moderne Sprachkritik sind nicht überholt.
p.s.
Zum Kontext dieser Überlegung verweise ich auf meinen Aufsatz: „Was bedeutet strukturell Erlösung in einer Welt ohne Gott?“ in der Abteilung Religion meiner Homepage: schmitter.sifisu.org – und als Ergänzung auf mein Lehrgedicht: Metamorphose (1) – (4), Mai 2018