Was bedeutet das Symbol des Regenbogens?

Menschen träumen von paradiesischen Zuständen; aufgeklärte Menschen am Ende des Anthropozän halten diesen Traum für eine Illusion: Es gibt bzw. es entsteht kein Paradies, weder im Himmel noch auf der Erde.

Diese Einsicht ist nicht allein der menschlichen Vernunft geschuldet, sondern auch meiner Übersetzung der Noach-Erzählung der hebräischen Bibel in die Jetzt-Zeit. Übersetzung bedeutet für mich sinnvolle Übertragung mythologischer Erzählungen auf der Grundlage des heutigen, erkenntnisgeprüften Weltbildes. Die Bibel ist Grunddokument von Judentum und Christentum und auch eine wertvolle Erkenntnisquelle für den Islam. Der Sinn solcher Erzählungen ergibt sich nicht allein aus der exegetischen Einordnung, sondern – wenn überhaupt – aus der Einsicht in die Bedeutung auf der Basis des heute verbindlichen Weltbildes.

Verbindlich für die heutige (wissenschaftlich fundierte) Erkenntnis ist, dass es (nur) einen Welt-Raum (zumindest dreidimensioniert) und eine Welt-Zeit (chronologisch verstanden) gibt. Hinzu kommt die Erkenntnis der evolutionären Entwicklung des Lebens auf dem Planeten Erde bis hin zur Entwicklung von Bewusstseinsstrukturen auf der Basis der Entwicklung des Gehirns.

Durch die Kommunikationsfähigkeit und -praxis in Sprache, Bild und Schrift auf der Basis erweiterter Gehirntätigkeit bildet sich der homo sapiens: mit der Fähigkeit, nachhaltig zu lernen, und seine Bewusstseinsmöglichkeiten (Potenzen) zu erweitern und zu optimieren: durch die Erinnerung an die wahrgenommene Umwelt und die (systematische) „Auslagerung“ von Wissen in Bild, Buch, Bibliothek, Internet bis zur künstlichen Intelligenz (KI). Kommunikation und Lernfähigkeit prägen ein spezifisches Selbstbewusstsein.

Resultat dieser Entwicklung (und die Möglichkeit ihrer Erinnerung durch Rekonstruktion) ist die Geschichte der Menschheit; diese Geschichte ist nicht im Sinne (biologischer) Evolution darstellbar, sondern durch Gebrauch und Missbrauch der menschlichen Möglichkeiten gekennzeichnet. Ich spreche von der „eigensinnigen“ Geschichte der Problemlösungen und der ihr innewohnenden „Dynamik des Vorläufigen“.

Der Mensch verantwortet die Geschichte seiner Problemlösungen im Alltag, in der Gesellschaft und in der Wissenschaft

selbst und muss für sie einstehen. Daher nenne ich den homo sapiens einen „homo praestans“; seine Urteilskraft prägt sein ethisches Verhalten.

Das Denken und Handeln der Menschen ist frei und vorläufig zugleich; daher kann und muss er zwischen „erfolgreich“ und „gescheitert“ unterscheiden und zwischen „gut“ und „böse“ urteilen. Diese eigensinnige Praxis und Geschichte des homo sapiens hat Hannah Arendt in den Satz zusammengefaßt, dass die Menschen sterbliche Schöpfer sind.“Um die Welt gegen die Sterblichkeit ihrer Schöpfer und Bewohner im Sein zu halten, muss sie dauernd neu eingerenkt werden.“ (aus: Die Krise in der Erziehung, 1958)

Die jüdisch-christliche Bibel erzählt den Anfang der Menschheitsgeschichte im Buch Genesis auf zweifache Weise: Neben und nach dem Schöpfungsmythos und der Paradieserzählung der ersten Menschen beginnt die Geschichte der Eigenverantwortung auf der gesamten Erde mit der Noach-Erzählung.

Nachdem JAHWE (Gott) alles Leben auf der Erde durch die Sintflut ausgelöscht hatte, bis auf die Überlebenden in der Arche, schließt er mit Noah und seiner Familie einen „ewigen Bund“. Er überantwortet ihnen alles Leben auf der Erde und gelobt, in die Geschichte der Menschen und allen Lebens auf der Erde nicht mehr einzugreifen. Symbol dieses Bundes und dieser Zusage ist der „Bogen“, der Regenbogen.

Ich übersetze den Sinn dieser Erzählung in den Kontext des heutigen Weltbildes: die Verantwortung für alles Leben auf der Erde liegt bei den Menschen; ein Eingriff von „außen oder oben“ ist ausgeschlossen. Ich verstehe den Sinn dieser Erzählung als Zusage der Autonomie.

Der Regenbogen – zumindest im Kontext der hebräischen Bibel – ist primär nicht ein Symbol der „bunten Vielfalt“ und des Individualismus, sondern Erinnerung und Mahnung zur Verantwortung im Denken, Handeln und Urteilen.

Die Propheten der Bibel und Jesus aus Nazaret werden die Zusage der Autonomie messianisch deuten und die jüdisch-urchristlichen Täufergemeinden werden die Botschaft von der Erlösung weitertragen. Der jüdisch-christliche Schriftgelehrte und griechisch sprechende römische Bürger Paulus aus Tarsus in Kleinasien wird die messianische Botschaft in die Formel bringen: „Euer Leben sei ein vernünftiger Gottesdienst.“ aus dem Römerbrief, Kap.12)

Ich ziehe aus der Messias-Botschaft für das heutige Leben folgende Konsequenzen:

° Um Probleme sachgemäß im Alltag, in der Gesellschaft, weltweit und in den Wissenschaften zu lösen, bedarf es keiner Gottes-Hypothese; ich spreche daher vom „methodischen Atheismus“; diese methodische Einsicht darf nicht mit einer atheistischen Weltanschauung verwechselt werden.

° Um Probleme sachgemäß lösen zu können, bedarf es der ideologiekritischen Prüfung aller Weltanschauungen und der Überwindung ihrer – oft religiös bedingten – dogmatischen Fixierungen, ohne sich im Skeptizismus zu verlieren.

° Zweifeln, ohne zu verzweifeln, ist sinnvoll und befreiend und bleibt zielorientiert; ich spreche daher von der „Dynamik des Vorläufigen“ in der messianischen Überzeugung der Utopie der Erlösung.

° Diese Überzeugung befreit von Vorurteilen und Menschenverachtung und schafft die Grundlagen für Gerechtigkeit und Frieden, gegen Machtmissbrauch und für Demokratie.

° Diese Überzeugung erlaubt dem aufgeklärten Menschen Umkehr in seinem Verhalten – auf der Basis von Empathie für alle Menschen und Sympathie für Freundinnen und Freunde und die Familie.