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Reduzierte Kommunikation unter Bibliophilen
Im Literaturcafé sitzen sich Verlegerin und Autor schweigend gegenüber und trinken ihren Espresso. Hinzu gedeckt je ein Senfglas mit Leitungswasser, unberührt. Denn der Autor hat sich zusätzlich eine Flasche Mineralwasser bestellt; auf Rückfrage „mit“. Aber das ändert nichts an dem rituellen Vorgang, dass der Espresso mit dem obligaten Glas Leitungswasser serviert wurde. Das zeichnet den Qualitätsstandard dieses Kaffeehauses aus, obwohl die in buntes Papier eingewickelten Kekse fehlen. Die oft üblichen Zuckertütchen sind durch spezielle Zuckerdosen, die auf jedem Tisch stehen, ersetzt.
Mir graut vor diesen, meist übervollen Zuckerspendern, denn das für meinen Espresso gemäße Maß an Zucker lässt sich durch die Umkehrbewegung dieser Zuckerdosen nicht, zumindest nicht wunschgemäß regulieren: entweder tut sich bei leichtem Schütteln nichts oder der plötzliche Zuckerschwall vernichtet den Kaffee in der kleinen Espressotasse.
Also lasse ich die Zuckerdose unberührt und schlürfe den Espresso schwarz; verknüpft mit dem Gedanken und in der Vorstellung der strengen Gesichtszüge der Missachtung meiner abwesenden Ehefrau, dass Zucker – bei meinem Blutzucker – äußerst ungesund sei. Ich schlürfe also meinen Espresso und Sie als Leserin oder Leser werden schon gemerkt haben, dass ich mit dem zu Anfang genannten Autor identisch bin – auch wenn ich mich selbst so nicht bezeichnen würde.
Ich nenne mich weder Autor noch Schriftsteller (höchstens aus taktischen Gründen fürs Finanzamt) – mit der Assoziation „Fallensteller“ –, sondern schlicht „Aufschreiber“. Auch dieser Begriff – nahe an meiner Tätigkeit – ist nicht assoziationsfrei: Aufschneider!
Mir gegenüber sitzt die fiktive Verlegerin, mit rot gefärbtem Haar, das die silbernen Alterssträhnen kaum verbergen kann, und legt ein Buch auf den Tisch, hardcover, eine Bücherwand als Umschlagfoto. Ich erkenne es sofort, da ich ein optisches Gedächtnis habe und bibliophil bin: Über Bücher. Konkursbuch 55.
Sie schiebt mit einer Hand das Buch in meine Richtung und fordert mich lächelnd auf, es in die Hand zu nehmen. Ich lächle zurück, schiebe das Buch mit zwei Fingern meiner rechten Hand in ihre Richtung zurück und sage: Danke. 501/666. Sie ist kaum überrascht, nimmt das Buch in die Hand, schlägt die vorletzte Seite auf und antwortet: Nein. 599/666.
Diese rätselhafte Minimalkommunikation bedarf für uns keinerlei Aufklärung.
Zum 40. Geburtstag des konkursbuch-Verlages im Jahre 2018 ist dieses Buch in 666 nummerierten und signierten Exemplaren erschienen. Warum diese Anzahl? So viele Bücher sind seit 1978 in diesem Verlag erschienen. Ich kenne diesen Verlag seit langem, da ich Chaos und Anarchie – zumindest in der Theorie und an meinem Schreibtisch – liebe.
Aber auch dieser Verlag kommt zu seinem Jubiläum nicht ohne Manipulation aus: damit die Zahlen stimmen, erscheint Nr. 54 des Konkursbuches erst nach der Nr. 55 (Thema: Lügen!). Fairnesshalber muss gesagt werden, die Verlegerin, Claudia Gehrke, teilt diese Manipulation im Impressum selbst mit.
Die Cafépause ist beendet und mir bleibt nur noch, das verschobene Buch zu empfehlen:
Bücher. Konkursbuch 55, hrsg.v. Claudia Gehrke und Florian Rogge, Tübingen 2018.
p.s. Nr. 501/666 ist in meinem Besitz.