Die insgeheime Bedeutung der Eustachi-Röhre

Im lexikalischen Nachlesen des Begriffs „Eustachische Röhre“, also im Rückgriff auf das heutige ausgelagerte anatomische Wissen durch gewohnheitsmäßiges Googeln erfahre ich, dass die Beschreibung der Ohrtrompete auf Bartolomeo Eustachi (1562) zurückgeht und beide Röhren in unserem Kopf dem Druckausgleich zwischen dem Nasen-Rachenraum, der auch die menschliche Stimmbildung bewirkt, und dem inneren Ohr dienen.

Aber ich unterstelle eine eigensinnige Wirkung dieser beiden Luftkanäle: sie transportieren meine je eigene innere Stimme, so dass ich sie – vor jeder Äußerung für andere – auf spezifische Weise verstehe. Diese Röhren – wenn sie gereinigt sind – schaffen meinem Bewusstsein eine eigenständige Wahrnehmung meiner – oft lauten und unverständlichen – Stimme.

Was bedeutet das für die zwischenmenschliche Kommunikation? Korrigieren muss ich die Aussage, dass mein Verstehen meiner Stimme zeitlich vor meiner Äußerung läge. Ich unterstelle in meiner fiktiven Konstruktion eine Parallelität innerer und äußerer Kommunikation

Es ist also zwischen innerer Stimme und sprachlicher Äußerung im selben kommunikativen Ereignis zu differenzieren; auch die innere Stimme entsteht durch Kommunikation mit mir selbst.

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser, Sie werden diese Überlegung für abstrus halten und einem aufgeklärten Gespräch für unangemessen; auch wenn ich zu bedenken gebe, dass mein Zeuge (im Nachdenken) Erasmus von Rotterdam den Anfang des Johannes-Evangeliums, den Prolog in einigen Varianten – vom griechischen Original ins Lateinische – wie folgt übersetzt hat: im Anfang war nicht das Wort (verbum), sondern das Gespräch (sermo). Diese logos-Übersetzung mag Gräzisten irritieren, Hieronnymus mit seinem Vulgata-Text ärgern, und dogmatische Theologen werden widersprechen.

Aber ich bleibe dabei, als jemand der im Projekt der philosophischen Aufklärung über den homo sapiens im Anthropozän nachdenkt: Im Anfang war die Kommunikation. Das gilt für den ungeborenen Menschen zu Beginn seines Lernprozesses; das gilt für die menschliche Gesellschaft seit dem Erfahrungsaustauch am Lagerfeuer; das gilt auch für das Nachdenken über die Erlösung als einer konkreten Utopie.

p.s.

Auch Primaten wie alle Säugetiere verfügen über Eustachische Röhten. Daraus auf Selbstbewusstsein aller Säugetiere zu schließen, wäre ein Missverständnis. Weiterhin führen die Mediziner das Phänomen, dass wir Menschen unsere eigene, „verlautbarende“ Stimme verfremdet wahrnehmen, wenn wir sie über einen Tonträger wahrnehmen, auf die Resonanz der Schädelknochen zurück. Das ist kein Beleg für eine innere Stimme im Sinne eines Selbstbewusstseins.

Wenn die innere Stimme nicht nur Resultat der erinnernden Wahrnehmung sein soll, dann ist sie Ausdruck des homo praestans, begründet in seiner Eigenverantwortung und Vernunft. Bei allem Zweifel: die innere Stimme äußert sich im Selbstbewusstsein, das durch Kommunikation in einem Lernprozess entsteht. Menschliche Kommunikation hat nicht nur ein Ziel: Problemlösung durch Verständigung, sondern auch einen Weg wie Umweg – durch die Röhren.

Ich bleibe bis auf Widerruf bei meiner Fiktion: die Eustachischen Röhren verweisen auf den Weg von Mündigkeit und Vernunft. Druckausgleich und Knochenresonanz schaffen noch kein Selbstbewusstsein, aber erinnern an die Verantwortung des aufgeklärten Menschen für die Welt und die menschliche Gesellschaft.