Zum 6. Januar 2025: Messianische Orientierung
Gestern haben die Drei Könige, Caspar, Melchior und Balthasar, an meine Haustüre geklingelt, ihren Segensspruch aufgesagt und ihr Markenzeichen (20*C.M.B*25) an den Briefkasten geklebt und ihre Belohnung erhalten: die Spende für den guten Zweck und Schokolade für die Wegzehrung.
Der Haustürbesuch der drei Messdienerinnen ist organisiert und ihr Spruch ist zur Erinnerung auf einem Handy gespeichert. Eines der drei Mädchen vor meiner Haustür blickt verstohlen auf den gespeicherten Text; zwei haben ihn auswendig gelernt, verinnerlicht – eine Bewusstseinsleistung des menschlichen Gehirns.
Ich hatte ihren Besuch schon erwartet, die Wegzehrung vorbereitet und den Geldschein zurecht gelegt. Ob ich auch mit „Karte“ hätte bezahlen können? Ich habe nicht gefragt und mich für den Besuch und Segenswunsch bedankt (Christus Mansionem Benedicat).
Ich erinnere mich an die fabelhafte Geschichte der Magier aus dem Morgenland; den Evangelien nach Matthäus und Lucas aus dem Neuen Testament entnommen, der verbindlichen Interpretation der messianischen Verheißung der hebräischen Bibel. Und ich stelle nüchtern fest: ohne den Kometen hätten die weisen Magier die Krippe mit dem neugeborenen Kind im Stall zu Betlehem nicht gefunden. Sie bedürfen des Sterns auf ihrer Wanderung, ihrem Exodus im Labyrinth des Lebens.
Die Geschichte des Märchens von den Sterndeutern auf der Suche nach dem Geburtsort des Messias und das Wachhalten dieser Erinnerung durch die Sternsinger seit dem Mittelalter gipfelt 1164 in einem politischen Schachzug: der Übertragung der vermeintlichen Reliquien von Mailand nach Köln durch Rainald von Dassel, Erzbischof von Köln und Kanzler von Italien. Dies sicherte Jahrhunderte lang Pilgerfahrten und Einnahmen, den Bau des Kölner Doms, die Erstellung und immerwährende Restaurierung des Drei-König-Reliquienschreins mit seinen Sehschlitzen zur Wahrnehmung anonymer Knochenreste und den literarischen Spott Heinrich Heines in seinem „Wintermärchen“.
Zurück zur Ausgangslegende: der Wegweisung der Messiassucher durch den Kometen. Was bedeutet diese Erkenntnis für die messianische Prophetie der Erlösung?
(1) In diesem Märchen von der erfolgreichen Suche der Magier und ihren königlichen Geschenken (Gold, Weihrauch und Myrrhe) haben alle Elemente ihre aufeinander bezogene Bedeutung, gerade wenn sie nicht zueinander passen: die Suche nach dem König Israels und das Kind in der Krippe; die königlichen Geschenke und die Geburt im Stall außerhalb der Stadt Bethlehem. Doch die Sterndeuter sehen die Weissagung der Bibel erfüllt, während (bei Lukas) die „Hirten auf dem Felde“ sachgemäß informiert werden. Ochs und Esel sind die stummen Zeugen. Eine verrückte Geschichte! Die künstlerische Darstellung der Geburt des Messias zeigt diese Verrücktheit bis auf den heutigen Tag, wenn auch zeitgeschichtlich bedingt.
(2) Ohne Komet wäre die messianische Suche vergeblich gewesen. Zielgerichtete Orientierung ist nicht astronomisch oder kartographisch planbar. Nur Ochs und Esel sind zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
(3) Die junge Familie, intern informiert, hätte ein sicheres Dach über dem Kopf benötigt, einen Palast, was ihr bleibt, ist die Flucht. Der Diasporajude, Schriftgelehrte, Kenner der Septuaginta und philosophisch gebildet, der griechisch sprechende Römische Bürger aus Tarsus in Kleinasien, weiß um diese Verrücktheit, diesen Widerspruch; erfährt und interpretiert diese Situation (als kenosis) und ist daher überzeugt: Erlösung ist keine Herrschaftsideologie, sondern Umkehr des menschlichen Verhaltens und Befreiung. Daher ermahnt er seine Freundinnen und Freunde in den jüdisch-messianischen Täufergemeinden des römischen Reiches: Euer Leben sei ein „vernünftiger Gottesdienst“ (eine latreia logike).
(4) Für einen aufgeklärten Menschen des 21. Jahrhunderts, Juden wie Christen, ist es einleuchtend, die Aufgabe des homo sapiens, gemeinsam Probleme zu lösen, verantwortungsvoll zu realisieren. Im Zentrum dieser Aufgabe steht die Einsicht, dass – jenseits von Raum und Zeit – Erlösung möglich ist. Diese Einsicht ist als Utopie formulierbar.
(5) Im Zentrum der messianischen Prophetie des Christentums steht die Überzeugung, dass Jesus aus Nazaret der Messias ist. Für aufgeklärte Christen steht nicht die Schöpfung im Zentrum, sondern die Erlösung.
Schöpfungsmythen sind Rückerinnerungen, kein chronologischer Anfang; apokalyptische Weltgerichtsvorstellungen sind kein chronologisches Ende.
(6) Aufgeklärte Christen missverstehen daher Schöpfungsmythen und Paradiesvorstellungen nicht als chronologischen Anfang oder Ende. Christen (als Messias-Überzeugte) erwarten weder ein Paradies im Himmel noch auf der Erde. Erlösung ist kein chronologisches, sondern ein kairologisches Ereignis.
Literaturhinweise
- Schmitter, Jürgen: Vademecum für aufgeklärte Christen und nachdenkende Atheisten. Ein Taschenwörterbuch, Münster in Westf. 2017
- Schmitter, Jürgen: Aufgeklärter Realismus. Ein Handwörterbuch als Gesprächsgrundlage für Atheisten und Christen, Münster in Westf. 2020
- Schmitter, Jürgen: Nachdenken aus der Peripherie im Anthropozän. Überlegungen zur Anthropologie der Aufklärung, Münster in Westf. 2023